ISSN
0178-1073
Kosten
9,50 €
Umfang
83 Seiten
Erschienen
Mai 2010
Heft 57
Über die Grenzen hinweg?
Vom Umgang der Frauen(bewegungen) mit Grenzen
Dieses Jahr beschäftigten sich zwei große Historiker:innentagungen mit dem Thema Grenze: zum einen die Schweizerischen Geschichtstage, die in Basel unter dem Thema: ›Grenzen‹ stattgefunden haben und zum anderen der 48. Deutsche Historikertag, der in Berlin unter dem Motto: ›Über Grenzen‹ getagt hat. Auf beiden Tagungen ging es darum, Grenzen in ihrer Vielschichtigkeit erkennbar zu machen und sich nicht auf territoriale Grenzen zu beschränken.
Für einen geschlechtergeschichtlichen Zugang bietet das Bild der Grenze Vorteile – denn das Geschlecht an sich kann durchaus als Grenze wahrgenommen werden. Auch andere Merkmale wie Alter, Religion und Nationalität können dazu führen, dass Personen mit diesen Merkmalen das Passieren einer bestimmten Grenze verwehrt wird. Interessant ist zu sehen, dass die Merkmale, die darüber entscheiden, ob eine Grenze passiert werden kann, nur dann sichtbar werden, wenn das Überschreiten einer Grenze nicht gelingt. Fälle von Grenzverletzungen, versuchten Grenzüberschreitungen und missglückten Übergängen, bieten daher die große Chance, Übertretungen und Irritationen von Markierungen festzustellen. Die Grenzen werden zu Räumen, in denen die Norm auf das Un-Normale stößt und Neuorientierungen oder auch Neu-Normierungen verhandelt werden.
Diesen Aspekt erörtern etwa Thomas Geisen und Allen Karcher: (Grenze: Sozial-Politisch-Kulturell. Ambivalenzen in den Prozessen der Entstehung und Veränderung von Grenzen, London 2003), oder Etienne François, Jörg Seifarth und Bernhard Struck ( Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion, Frankfurt a.M. 2007). Auch Michel Foucault hat schon 1974 auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht, indem er darauf hinwies, dass das vollständige Überschreiten einer Grenze nicht möglich ist. Vielmehr werde die Grenze lediglich verschoben, da sich hinter dem neu erschlossenen Raum gleich wieder eine neue Grenze festsetze.
Die Autor:innen dieser Ausgabe nähern sich dem Motiv der Grenze auf unterschiedliche Weise; alle aber fokussieren sich auf die Frage, was beim Überschreiten bzw. beim Hinausschieben von Geschlechtsgrenzen mit den Protagonist:innen dieses Prozesses passiert. Nicht nur aktiv Handelnde werden betrachtet, auch die Gesellschaft, die eine Grenzverschiebung entweder aktiv ablehnt oder passiv erduldet, wird in den Fokus genommen.
Alle Artikel zeigen, dass der Kampf gegen eine feststehende Norm immer an Grenzen stößt. Eine Verschiebung einer Grenze ist möglicherweise nur durch persönliche Opfer zu erreichen. Aber es wird zugleich deutlich, dass es möglich ist, Grenzen auszudehnen und dadurch mehr Raum für Neues zu schaffen. Stete Bemühungen, immer wieder an den angeblich feststehenden Grenzen zu rütteln, ermöglichen gesellschaftliche Veränderungen.
Redaktion
Anne-Laure Briatte-Peters/ Dr. Kerstin Wolff
Mit Beiträgen von
Anne-Laure Briatte-Peters, Marion Röwekamp, Dominique Grisard, Rebekka Denz, Brigitte Rath, Iwona Dadej, Angelique Leszczawski-Schwerk, Kathrin Stern, Vojin Saša Vukadinovic. Andreas Schneider.