Jahresserie #DieFrauenVon1848

#DieFrauenVon1848 Folge 1
„Wo sie das Volk meinen, da zählen die Frauen nicht mit“
2023 hat begonnen – und mit dieser Zahl kommt ein neues Jubiläum inklusive neuer Jahresserie des AddF. Dieses Jahr steht ganz im Zeichen der Revolution von 1848, die sich zum 175. Mal jährt und dem das AddF in Kooperation unter anderem eine Tagung, die neue Ariadne und zahlreiche Vorträge widmen wird. Wir möchten einen ganz besonderen Aspekt dieses wichtigen Abschnitts der Geschichte in den kommenden zwölf Monaten auf unseren Social-Media-Kanälen beleuchten: die Frauen von 1848!
„Wo sie das Volk meinen, da zählen die Frauen nicht mit“ - Zu diesem Urteil über die Kämpfer der 1848er-Revolution kam Louise Otto, die „Lerche des Völkerfrühlings“, 1849 im ersten Heft ihrer Frauenzeitung. Und sie war nicht die Einzige, die diese eingeschränkte Wahrnehmung der meisten Revolutionäre bemerkte. Viele Frauen mischten sich in die revolutionäre Aufbruchstimmung ein, mit Feder und Tinte als Journalistinnen und Schriftstellerinnen, aber auch als mitkämpfende (Ehe)Frauen auf Barrikaden und Schlachtfeldern und später als Organisatorinnen der Flucht ins Exil und des Neuanfangs in der Emigration, allein oder mit der ganzen Familie. Sie forderten Freiheitsrechte auch für sich und meinten damit zum Beispiel Zugang zu Bildungsinstitutionen und moralische und rechtliche Gleichstellung in Ehe und Familie. Neben Louise Otto (1819-1895) meldeten sich viele weitere zu Wort oder schritten zur Tat, so etwa: Emma Herwegh (1817-1904), Amalie Struve (1824-1862), Louise Dittmar (1807-1884), Louise Aston (1814-1871), Malwida von Meysenbug (1816-1903), Johanna Kinkel (1810-1858), Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) oder Fanny Lewald (1811-1889). Diese Frauen und ihre Beiträge zur 1848er-Revolution – was sie in Bewegung bringen konnten und auch, wo sie gescheitert sind – wollen wir in unserer neuen Reihe allmonatlich vorstellen. Denn – noch einmal Louise Otto: „Aber die Freiheit ist untheilbar! Also freie Männer dürfen keine Sklaven neben sich dulden – also auch keine Sklavinnen.“[1]
#DieFrauenVon1848 Folge 2
Geschlechterrollen um 1800
Das lange 19. Jahrhundert zwischen Französischer Revolution und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 kann als die Zeit verstanden werden, in der sich die soziale Großgruppe „Bürgertum“ mit ihren Ideen und Vorstellungen formte und durchsetzte.
Das Bürgertum zeichnete sich dadurch aus, dass es auf der einen Seite ein individuelles Selbstverwirklichungsrecht und die Achtung der Menschenrechte ins Zentrum seines Gesellschaftsbildes stellte, andererseits aber eine klare Unterscheidung zwischen Männern und Frauen konstruierte. Das hatte zur Folge, dass weder das Selbstverwirklichungsrecht noch die Menschenrechte für Frauen galten. Begründet wurde diese Idee mit dem angeblich „natürlichen Geschlechtscharakter“ der Menschen, – aber speziell der Frauen – die als genaues Gegenteil des Mannes gedacht wurde.
Während »er« für das Außen, die Politik und den Beruf zuständig war, wurde »sie« als Hausfrau und Mutter gedacht, die sich nicht für Politik interessierte, sondern die häusliche Sphäre möglichst nie verließ. Ein Modell welches weder für Arbeiterinnen noch für Bäuerinnen und Landarbeiterinnen umzusetzen war.
In der Revolution von 1848 sahen einige wenige Frauen die Chance, dieses Geschlechtermodell ebenso in Frage zu stellen wie die Monarchie und die Herrschaft des Adels. Zaghaft setzte eine Reflexion über die Geschlechterverhältnisse ein, die zu ersten Gegenpositionierungen führte. Mehr zu dieser Reflexion erfahrt ihr in unseren nächsten Posts über Louise Dittmar.
weiterführende Literaturtipps:
Ute Frevert: "Mann und Weib, und Weib und Mann". Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München Beck 1995
Rebekka Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750-1850), Göttingen 2000
Mechthilde Vahsen (8.9.2008): Wie alles begann – Frauen um 1800


#DieFrauenVon1848 Folge 3_1
Louise Dittmar (1807-1884)
Am 07. September 1807 wurde Louise Dittmar als eines von 10 Kindern des Oberfinanzrates Heinrich Karl und der Beamtentochter Friederike Caroline in einen bürgerlichen Haushalt geboren. Ihr gesellschaftlicher Weg war schon früh für sie vorherbestimmt worden – als „Haustochter“ sollte sie die Pflege ihrer Eltern im Alter übernehmen, während ihre acht Brüder studieren gingen und ihre Schwester verheiratet wurde.
Sie besuchte eine Mädchenschule und erarbeitet sich im Selbststudium Schriften und Theorien aus Politik und Philosophie; jedoch begann sie erst nach dem Tod der Eltern 1840 – mit mittlerweile 33 Jahren – mit dem Schreiben.
Louise Dittmar stellte in ihren Schriften, die sie zunächst ab Mitte der 1840er Jahre anonym zur sogenannten sozialen Frage veröffentlichte, immer wieder Bezüge zu Geschlechterrollen, -verständnis und Gleichberechtigung von Männern und Frauen her. Vor allem der zentrale Begriff der Freiheit – und zwar für alle Geschlechter – war für sie bedeutend.
Dittmars Forderungen trafen in der aufgeheizten Stimmung des prärevolutionären Vormärz auf viel Zustimmung und ihre radikalen Konzepte machten sie in der Zeit um 1848 zu einer bekannten und gefragten Autorin, sodass sie ab 1849 sogar Herausgeberin einer Zeitschrift war. „Die sociale Reform“ versammelte Artikel von u.a. Malwida von Meysenbug und Louise Otto, wurde aber leider nach nur vier Ausgaben eingestellt.
Über die Zeit nach 1850 ist nicht mehr viel über Louise Dittmar bekannt. In dieser Zeit veröffentlichte und schrieb sie nicht mehr und lebte sehr zurückgezogen in Darmstadt. Aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen zog sie 1880 zu zwei Nichten nach Bessungen nahe Darmstadt. Dort starb sie am 11. Juli 1884.
Mehr über Louise Dittmars Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Freiheit von Frauen gibt es in Kürze hier bei der nächsten Folge #DieFrauenVon1848.
weiterführende Literaturtipps:
Mechthilde Vahsen (13.1.2009): Louise Dittmar
Dr. Christine Nagel: „In der Seele das Ringen nach Freiheit“ – Louise Dittmar : Emanzipation und Sittlichkeit im Vormärz und in der Revolution 1848/49. - Königstein/Taunus 2005
#DieFrauenVon1848 Folge 3_2
Gegen das verwaschene und verbügelte Leben
»Der Mann ist der Fürst des Weibes,der absolute Monarch,
der unumschränkte Gebieter in ihrem Bereich«.[2]
Die Frau dagegen: »Arm und rechtlos, gesetzlich und grundsätzlich unterdrückt […], in ihren Mitteln beeinträchtigt,
verhöhnt, verspottet, mit allem Gewicht einer ihr feindseligen Lebensmoral verdrängt und verfolgt«.
So bringt Louise Dittmar die Gegensätze in der Geschlechterrolle auf den Punkt.
Sie wurde 1807 in eine liberale bürgerliche Familie geboren, Louise Dittmar erarbeitete sich ihr Wissen autodidaktisch. Über ihre Brüder war sie bereits im Vormärz mit dem revolutionären Zeitgeist in Berührung gekommen. Seit 1845 übte sie in gesellschaftskritischen Schriften harsche Kritik an den Verhältnissen, so auch am »verkochten, verwaschnen und verbügelten Leben der Frauen«.
Das »gemüthliche[...] Familienleben«, das für die Frau in ihren Augen einzig ein Leben als »Gattin, Mutter, Hausfrau und Gesellschafterin« bereithielt, stellte sich für sie als »Tretmühle« gar »weibliche[...] Galeerensträflingsanstalt« dar.
Ihre Gedankengänge zur Kritik an den Geschlechterrollen lassen sich besonders gut in ihrer Schrift »Das Wesen der Ehe« (1849) nachvollziehen. Sie zielte dabei auf die Befreiung der Frau aus der Sphäre des Hauses. »Die Beschränkung der weiblichen Thätigkeit auf den Haushalt hemmt die Entwicklung des Lebens im höchsten Grade«.
Unter diesen Bedingungen werde kein »erhebender Gedanke die Seele durchdringen«. Sie selbst schrieb nicht nur von einem neuen, größeren »entsprechenden Wirkungskreis«, sie erschuf sich diesen auch selbst als Schriftstellerin und Redakteurin.
Ihr Kampf galt der bürgerlichen Doppelmoral und der eingeschriebenen self-fulfilling-prophecy, dass Frauen zu nichts fähig seien: »[...]Nichts für [...] [die Frau] zu errichten und dann zu sagen, es giebt Nichts weiter für sie, sie zu Nichts weiter zu erziehen und dann zu sagen, 'das ist ihre Bestimmung,‘ heißt dies nicht v o r a u s bestimmen?«


#DieFrauenVon1848 Folge 4_1
Louise Otto-Peters (1819 - 1895)
Louise Otto-Peters gilt als Pionierin der organisierten bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland.
Sie wurde am 26. März 1819 geboren und wuchs in einer wohlhabenden Familie in Meißen auf.
Bereits als junges Mädchen begann sie Gedichte, Romane und sozialkritische Prosa zu schreiben. Zu einem ihrer wichtigsten Bücher zählte Schloß und Fabrik, in dem sie die elendigen Arbeits- und Lebensbedingungen sächsischer Weberinnen und Klöpplerinnen anprangerte. Ihre Sozialkritik hatte zur Folge, dass der Roman 1846 nur zensiert erscheinen durfte.
Als Unterstützerin der demokratischen Bewegung des Vormärz veröffentlichte sie 1847 den Artikel Über die Teilnahme der Frauen am Staatsleben. Darin forderte sie erstmals die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter sowie das Recht auf Bildung für Mädchen und Frauen und schuf damit gleichfalls programmatische Grundideen der Frauenbewegung. Während der Revolution 1848/49 erregte Ottos Artikel Adresse eines Mädchens an den hochverehrten Minister Oberländer politisches Aufsehen: Als erste Frau forderte sie die Regierung auf, bei der Organisation der Arbeit die Frauen nicht zu vergessen und erwirkte ein persönliches Gespräch mit den Ministern.
Von 1849 bis zu ihrem Verbot 1852 gab Louise Otto unter dem Motto „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“ die Frauen-Zeitung als erste politische Frauenzeitschrift heraus.
In der folgenden Ära der Reaktion schrieb sie überwiegend belletristische Texte und heiratete 1858 den Revolutionär August Peters (1817–1864). Die Ehe blieb kinderlos. Nach dem Tod ihres Mannes widmete sich Otto-Peters dem Aufbau der bürgerlichen Frauenbewegung.
1865 gründete sie zusammen mit Auguste Schmidt (1833–1902), Ottilie von Steyber (1804–1870) und Henriette Goldschmidt (1825–1920) den Allgemeinen deutschen Frauenverein, dessen Ziele vor allem die Rechte der Frau auf Bildung und Erwerbsarbeit waren. Bis zu ihrem Tod fungierte sie als Mitherausgeberin des Vereinsorgans Neue Bahnen.
Louise Otto-Peters starb am 13. März 1895 in Leipzig.
Lesetipp: AddF-Dossier zu Louise Otto-Peters, AddF-Dossier zum ADF
#DieFrauenVon1848 Folge 4_2
„Würdige Gefährtinnen eines freien Volkes“[3]
Als „Lerche des Völkerfrühlings“ war Louise Otto (1819-1895) schon im Vormärz mit ihren sozialkritischen Gedichten über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeiterinnen bekannt geworden. Die vorrevolutionären Bestrebungen begrüßte sie zwar leidenschaftlich, dichtete aber 1847: „Dem Männerrecht galt nur das neue Ringen, das Frauenrecht blieb in den alten Schlingen.“[4]
In ihrem vielbeachteten Artikel „Die Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“ wurde sie konkreter und erklärte die Beteiligung der Frauen nicht allein als ein Recht, sondern geradezu als eine Pflicht. Auch die Frauen seien politisch aufgewacht und nähmen mit Worten und Taten regen Anteil an allen gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie wollten und könnten diese nicht nur aktiv mitgestalten, sondern müssten sich gerade in Bezug auf die soziale Frage energisch einbringen. Zwei Jahre später griff Louise Otto den Gleichklang von Recht und Pflicht im programmatischen ersten Artikel ihrer Frauen-Zeitung wieder auf: „Wir wollen unser Theil fordern“ – nämlich rechtliche Gleichstellung, gleiche Bildungschancen und das Recht auf Erwerb, sprich die Möglichkeit, ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen. Aber auch: „Wir wollen unser Theil verdienen“ – durch das organisierte gemeinsame Eintreten für eine neue Gesellschaftsordnung und für ein demokratisches politisches System. „Wohl auf denn, meine Schwestern, vereinigt Euch mit mir, damit wir nicht zurück bleiben, wo Alle und Alles um uns und neben uns vorwärts drängt und kämpft. Wir wollen auch unser Theil fordern und verdienen an der großen Welt-Erlösung, welche der ganzen Menschheit, deren eine Hälfte wir sind, endlich werden muß.“[5]
Mit ihrem Eintreten für Frauenrechte innerhalb der 1848er Revolution war Louise Otto eine der wenigen, die erkannte, dass es nicht nur um eine Beteiligung der Frauen an der Revolution ging, sondern auch um eine fundamentale Umgestaltung der Geschlechterverhältnisse.


#DieFrauenVon1848 Folge 5_1
Mathilde Franziska Anneke (1817 - 1884)
Mathilde Franziska Anneke wurde am 3. April 1817 geboren, wuchs in einem preußisch-westfälischen Elternhaus auf und genoss eine tolerante sowie bildungsorientierte Kindheit. Mit 19 Jahren heiratete Anneke einen Weinhändler, von dem sie sich aber schon kurze Zeit später wieder scheiden ließ. Nach der Scheidung ihrer Ehe begann die nunmehr alleinerziehende Mutter mit dem Schreiben und Veröffentlichen von christlicher Erbauungsliteratur. Im Laufe der 1840er Jahre gewann ihr literarisches Schaffen zunehmend einen gesellschaftskritischen Charakter. Zu dieser Zeit knüpfte sie Kontakte zu demokratischen wie kommunistischen Vereinigungen und lernte ihren späteren Ehemann, den Revolutionär Fritz Anneke, kennen. 1847 erschien ihre erste Streitschrift mit dem Titel „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“, in der sie die patriarchalen Geschlechterverhältnisse anprangerte. Als ihr Ehemann im Zuge der Märzunruhen verhaftet wurde, übernahm Mathilde Anneke die Redaktion der zuvor gegründeten Neuen Kölnischen-Zeitung, die allerdings bereits nach kurzer Zeit verboten wurde. Auch die von ihr daraufhin herausgegebene Frauen-Zeitung musste das Erscheinen nach nur zwei Ausgaben einstellen. Mitte 1849 – Fritz Anneke war aus der Haft entlassen worden – schloss sich das Paar den Revolutionskämpfen in Baden an. Als exzellente Reiterin kämpfte Mathilde Anneke als „Flintenweib“ aktiv an der Seite der Revolutionstruppen – Erlebnisse, die sie 1853 in „Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Kriegszug“ festhielt. Nach dem Scheitern der Revolution und steckbrieflich gesucht, flüchteten die Annekes in die USA. Schnell fand Mathilde Franziska Anneke in der dortigen Frauenrechtsbewegung ein breites Betätigungsfeld: 1852 rief sie die „Deutsche Frauen-Zeitung“ ins Leben, unternahm Vortragsreisen und engagierte sich in Frauenvereinen. Ihrer Grundüberzeugung folgend, nach welcher die Gleichberechtigung der Geschlechter nur über gleiche Bildungschancen gegeben sein kann, gründete sie 1865 das „Milwaukee-Töchter-Institut“, das sie bis zu ihrem Tod am 25. November 1884 leitete.
Mathilde Franziska Anneke: Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissen, in: Mathilde Franziska Anneke Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Enno Stahl, Bielefeld 2015.
Mathilde Franziska Anneke: Mutterland : Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge 1848/49, Münster, 1982.
Karin Hockamp: „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“. Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), Sprockhövel 2010
Maria Wagner: Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten, Frankfurt 1980
#DieFrauenVon1848 Folge 5_2
„Throne und Altäre der Tyrannen und Despoten stürzen“[6]
Für Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), Kämpferin der 1848er-Revolution im Rheinland und in Baden, später Frauen- und Menschenrechtlerin in Amerika, lag die Wurzel aller Übel im mächtigen Einfluss der Kirche. Mit dem Versprechen, „dass wir dort oben belohnt werden“[7] sollte das Volk und insbesondere sein weiblicher Teil ruhig und vom Denken abgehalten werden. Sie aber forderte die Frauen vehement auf, den eigenen Kopf zu benutzen: „O, tut die Augen auf und seht, wie man mit Euch gespielzeugt hat“[8]. Damit das nicht mehr so leicht passieren kann und alle überhaupt in die Lage versetzt werden, derlei zu durchschauen, verlangte sie bessere Bildung und die Trennung von Kirche und Schule. Denn "so ein von der Geistlichkeit verworrener Verstand, der wird so leicht nicht wieder gerade, und wer nicht schon früh an ordentliches Nachdenken gewöhnt ist, der erlernt's später sehr schwer."[9] Das hatte sie selbst erfahren. Sie wuchs in einer katholisch-evangelisch gemischten Familie auf und wich erstmals vom Wege ab, als sie sich von ihrem Ehemann Alfred von Tabouillot, ein „halbverrückter Säufer“, scheiden ließ. Selbstverständlich war sie wegen böswilligen Verlassens schuldig geschieden worden und bekam keinen Unterhalt. Um sich und ihre Tochter zu ernähren, publizierte sie tief religiöse Gedichte, Prosa und Dramen. Sie war ungeheuer produktiv, verdiente aber kaum etwas, ihre Bitte um eine Gnadenpension wurde vom preußischen König abgelehnt. So brachten die Verhältnisse die junge Frau zum Aufbegehren und als sie mit demokratischen Intellektuellen, darunter Fritz Anneke, in Kontakt kam, war das nur noch der fehlende Funke, der die Revolutionärin in ihr entflammte: „Die Vernunft, die wir als unsere höchste und einzige Gesetzgeberin anerkennen, befiehlt uns, frei zu sein.“[10]

#DieFrauenVon1848 Folge 6_1
Malwida von Meysenbug (1816-1903)
Malwida von Meysenbug wurde am 28. Oktober 1816 in Kassel als neuntes Kind des kurhessischen Hofbeamten Carl Rivalier, ab 1825 von Meysenbug, und Ernestine Rivalier geboren.Als die Juni-Revolution von 1830 Kassel erreichte, war die Familie zum Umzug gezwungen, zunächst nach Frankfurt am Main.
1832 zog Malwida von Meysenbug dann mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester nach Detmold. Zeitlebens begleitete sie eine Faszination für Revolutionen und sie selbst sah in diesen ersten Unruhen in Kassel das Erwachen ihres politischen Interesses: „Zwar spielte ich noch mit Puppen, doch fühlte ich mich auf der Schwelle eines neuen Lebens. Ich hatte eine zweite Taufe erhalten durch die Hand der Revolution.“[11]
In Detmold kam sie durch die Bekannt- und schließlich auch Liebschaft mit Theodor Althaus, einem Theologiestudenten, mit aufklärerischen und liberalen Ideen in Kontakt. Sie war begeisterte Unterstützerin der Revolution von 1848 und konnte sich im Mai sogar in die Paulskirche einschleusen -> mehr im nächsten Post.
Durch ihre Beteiligung in der Revolution von 1848 drohte von Meysenbug die Verhaftung und sie emigrierte ins Exil nach London.
Dort verfasste sie den ersten Band ihrer „Memoiren einer Idealistin“. Im Laufe der Jahre schrieb sie noch viele weitere Texte, Artikel und Bücher, die teilweise schon zu ihren Lebzeiten zu Bestsellern wurden. 1901 wurde sie als erste Frau für den Literaturnobelpreis nominiert.
Von London aus baute sie sich ein riesiges Netzwerk auf – persönlich und durch Korrespondenzen. Unter anderem gehörten zu ihren Vertrauten Johanna und Gottfried Kinkel, Lou Andreas-Salome, Cosima und Richard Wagner, Alexander Herzen und Friedrich Nietzsche. Auch mit dem Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini und der Frauenrechtlerin Meta von Salis pflegte sie Kontakt.
Ein Leben lang unverheiratet, führte sie ein kosmopolitisches Leben. Sie wohnte unter anderem noch in Paris, Beyreuth, Florenz und Rom.
Dort starb Malwida von Meysenbug schließlich am 26. April 1903.
Empfohlene und verwendete Literatur:
Cornelia Wenzel (2023): Malwida von Meysenbug, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
Meysenbug, Malwida von: Memoiren einer Idealistin, Band 1, Berlin/Leipzig 1905.
Meysenbug, Malwida von: Der Lebensabend einer Idealistin. Nachtrag zu den "Memoiren einer Idealistin", Berlin 1898
Hering, Sabine: Malwida von Meysenbug. Welch ein Leben! – Welch ein Werk?, in: Jahrbuch der Malwida von Meysenbug-Gesellschaft 1994, Kassel 1994
Tegtmeier-Breit, Annegret: Lebensweg und Lebenswelt Malwida von Meysenbugs, in: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold (Hg.): Die Korrespondenzen der Malwida von Meysenbug – Briefregesten, Band 1, 1827‒1873, Detmold 2000
Reuter, Martin: 1848, Malwida von Meysenbug und die europäische Demokratiegeschichte. Die Politik einer aristokratischen Demokratin im 19. Jahrhundert, Kassel 1998.
#DieFrauenVon1848 Folge 6_2
„… nur dem männlichen Publikum geöffnet“?
Am 18. Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung zusammen. Die Verhandlungen waren öffentlich und das tatsächlich nicht nur für Männer – nein, es gab auch ein Damengalerie!
Dieses erste deutsche Parlament hatte aber bereits eine Vorgeschichte gehabt: vom 31. März an tagte mehrere Tage lang das Vorparlament, 574 Männer, die im Ringen um gemeinsame Beschlüsse die Nationalversammlung vorbereiteten. Dabei war die Anwesenheit von Frauen allerdings noch nicht vorgesehen, was die 31-jährige Malwida von Meysenbug sehr bekümmerte. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt ihre adlige Herkunft zumindest innerlich schon hinter sich gelassen.
Erfüllt von aufklärerischem Gedankengut beobachtete sie mit heißem Herzen die demokratischen Bestrebungen rundum und bedauerte zutiefst, „nicht in die Paulskirche zu können, die, weil zu wenig Raum war, nur dem männlichen Publikum geöffnet war.“[12] Doch zu ihrer großen Freude hatte eine ihr bekannte Dame Kontakt zu einem Nationalgardisten, der die Frauen auf die mit schwarzrotgoldenen Tüchern verhängte Kanzel schmuggelte. Dort hockten sie nun stundenlang und verfolgten mit großer Begeisterung die Debatten. „Ich war von einem Schwindel des Glücks erfasst; ich sah meine Träume Wahrheit werden, eine reiche, freie lebensvolle Zukunft sich für Deutschland öffnen“,[13] schreibt Meysenbug in ihren Memoiren. Ihrer eigenen freien Zukunft stand allerdings noch einiges im Wege. Die von ihr so sehr erstrebte geistige Entwicklung und ein selbstständiges Leben waren für Frauen, auch für eine Frau ihres Standes, nicht vorgesehen. Und so führte die politische Aufbruchstimmung für sie zu einer ganz persönlichen Erkenntnis: „Zum ersten Mal stellte sich in meinen Gedanken die Nothwendigkeit der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau, durch ihre eigenen Anstrengungen, fest.“[14] Diesen Anspruch wird sie, ebenso wie ihre demokratischen Überzeugungen, nie wieder aufgeben.
genutzte und weiterführende Literatur:
Cornelia Wenzel (2023): Malwida von Meysenbug, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
Malwida von Meysenbug: Memoiren einer Idealistin, Stuttgart 1876, Bd. 1
Henning Türk: Begrenzte Politisierung. Die weiblichen Zuschauer im Paulskirchenparlament während der Märzrevolution 1848/49, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte (79), 2023, S. 6-27.
Henning Türk: „Ich gehe täglich in die Sitzungen und kann die Politik nicht lassen" - Frauen als Parlamentszuschauerinnen und ihre Wahrnehmung in der politischen Öffentlichkeit der