Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung
von Helke Dreier
„Damals wollten wir mithelfen, die Aufrüstung zu verhindern. Es erschien uns unfaßbar, daß man nur sechs Jahre nach Beendigung des furchtbaren 2. Weltkrieges wieder eine deutsche Armee schaffen wollte. Wir hielten die Wiederaufrüstung für ein nationales Unglück und befürchteten zu Recht, daß sie die Spaltung unseres Vaterlandes vertiefen würde. Wir aber wollten zur Annäherung der Deutschen beitragen und Schritte zur Wiedervereinigung tun. [...] Wir sahen es als unsere Aufgabe an, die unpolitischen Frauen an die Politik heranzuführen, ihnen zu richtigen Erkenntnissen zu verhelfen und sie zu staatsbürgerlichem Handeln zu bewegen [...]."[1]
Gründung, Selbstverständnis und Ziele
Ihren Namen erhielt die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung während einer Friedenskonferenz in Göttingen im Februar 1952. Die Idee für ihre Gründung entstand bereits einige Monate zuvor, als am 14. Oktober 1951 etwa 1.000 Frauen im nordrhein-westfälischen Velbert zum „Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ zusammenkamen. Initiiert worden war dieser Kongress von evangelischen und katholischen Frauen; zu ihnen gehörten u. a. Klara Maria Faßbinder (1890-1974, Professorin für Geschichtspädagogik an der Pädagogischen Akademie Bonn), Henriette Rühle (1910-1963, Mitglied der Zentrums-Partei) und Maria Deku (1901-1983, Mitglied der CSU). Obwohl im Ursprung als Treffen christlicher Frauen geplant, nahmen an diesem Kongress auch Kommunistinnen, Pazifistinnen und Sozialistinnen teil, die sich ebenfalls für den Frieden engagieren wollten. Über alle weltanschaulichen Unterschiede hinweg einte diese Frauen ihre grundsätzliche Ablehnung der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland, wie es von den Teilnehmerinnen im verabschiedeten Manifest dieses Kongresses formuliert wurde:
„[...] Der Friede ist unser Leben, darum muß unser Vaterland, sechs Jahre nach dem Kriege, einen richtigen Friedensvertrag erhalten. Nur im Frieden können die schweren, sittlichen Schäden, die zum großen Teil eine Folge der beiden letzten Kriege sind, geheilt werden, Kriegsvorbereitungen vermehren sie. Nur im Frieden können die schwierigen sozialen Probleme, mit denen wir und die ganze Welt ringen, ihrer Lösung entgegengeführt werden. Diese soziale Neuordnung ist der beste Verteidigungsbeitrag. Die Entmilitarisierung Deutschlands soll der Anfang sein für internationale Verständigung und Abrüstung. [...].“[2] Dem ersten Friedenskongress in Velbert 1951 folgten viele weitere, u. a. in Cuxhaven (1951), in der Frankfurter Paulskirche, in München und in Oberhausen.
Die Organisation
Die WFFB war kein Verein im eigentlichen Sinn mit Eintrag im Vereinsregister und eigener Satzung, sondern sie war ein loser Zusammenschluss von örtlich und regional organisierten Frauengruppen. Es gab weder eine förmliche Mitgliedschaft noch Mitgliedschaftsbeiträge; Frauen, die sich mit den Zielen der Organisation identifizierten, arbeiteten mit und engagierten sich ehrenamtlich.[3] In allen Bundesländern gab es selbständig arbeitende Regionalgruppen und Arbeitskreise. Sie organisierten Vorträge, Basare, Infostände und Flugblattaktionen und sammelten Unterschriften u. a. gegen die atomare Aufrüstung und die Notstandsgesetze. In jedem Bundesland gab es eine Vorsitzende oder eine kleine Gruppe, die die Zusammenarbeit der Regionalgruppen koordinierte. Es gab ein gewähltes Präsidium, das bundesweit agierte und die Öffentlichkeitsarbeit geschah zu einem wesentlichen Teil über die organisationseigene Zeitschrift „Frau und Frieden“.[4] Die WFFB arbeitete auf der Basis freiwilliger Arbeit und finanzierte sich über Spenden. Damit ähnelte sie in ihrer Struktur der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF).[5]
Die Mitglieder
Die Frauen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung verbanden ihr Engagement für den Frieden mit einem bildungspolitischen, erzieherischen und aufklärerischen Anspruch. Sich für den Frieden zu engagieren, bedeutete auch, Frauen zu befähigen, ihrer Aufgabe als mündige Staatsbürgerinnen gerecht zu werden. Diese Haltung ist nicht als dezidiert feministisches oder frauenbewegtes Engagement für die Rechte der Frau zu verstehen. Ingeborg Küster, Mitbegründerin der WFFB war nach ihren eigenen Angaben nie sonderlich an den Themen, Aktionen und der politischen Arbeit der Frauenbewegung interessiert. Sie ging sogar soweit, das selbständige politische Handeln der Frauen abzulehnen. Erst durch ihr politisches Engagement in der WFFB wuchs in ihr die Überzeugung, dass die Mobilisierung von Frauen für den Frieden nur über politische Bildung und Aufklärung funktionieren werde.[6] In der Retrospektive gibt es aber durchaus auch Stimmen, die der Meinung sind, die WFFB habe sich insgesamt zu wenig für die Rechte der Frau eingesetzt.[7]
Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung verstand sich als überparteilich und überkonfessionell. Jede konnte Mitglied werden, unabhängig von ihrer religiösen oder politischen Weltanschauung. Einziges Kriterium für die Mitarbeit war die Identifikation mit dem vorrangigen Ziel der Organisation, die Wiederaufrüstung Deutschlands zu verhindern. So arbeiteten in der WFFB katholische, kommunistische, sozialistische, liberale und konservative Frauen miteinander. Die Mitglieder gehörten keiner speziellen Schicht oder Berufsgruppe an; es waren Hausfrauen und Berufstätige aus allen Schichten, Arbeiterinnen ebenso wie Wissenschaftlerinnen, die sich in der WFFB engagierten.[8]
Aktionen und Aktivitäten
Neben den oben geschilderten Veranstaltungen organisierte die WFFB auch Friedenskonferenzen und Friedenstage. Am 22. Mai 1952 fand in Bonn ein Friedenstag statt, der als Protestaktion gegen den Generalvertrag und den Beitritt der BRD zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) veranstaltet wurde. Ca. 1.600 Frauen nahmen an diesem Friedenstag teil.[9] Zahlreiche Protest-Resolutionen wurden an Bundeskanzler Adenauer und an andere Regierungsmitglieder verschickt. Während die Verhandlungen zwischen den USA, der UdSSR, England und Frankreich in Genf stattfanden, hielten die WFFB-Frauen Mahnwachen ab.[10] In den folgenden Jahren war die Arbeit der WFFB geprägt vom Kampf gegen die Remilitarisierung Deutschlands, gegen die Einführung der Wehrpflicht, gegen die Atombewaffnung, gegen die Notstandsgesetze und gegen den Vietnamkrieg.[11] Zur Demonstration ‚Frauen gegen Wiederaufrüstung‘ kamen 1500 Frauen. Auch an der Protestaktion der amerikanischen Organisation ‚Women Strike for Peace' (WSP) 1964 in Den Haag, bei der Frauen aus allen NATO-Ländern gegen die Bildung einer multinationalen Atomstreitmacht demonstrierten, waren die WFFB-Mitglieder beteiligt. An dem Anti-Kriegsforum 1964 in Bonn nahmen neben den WFFB-Frauen auch Frauen aus England teil.[12] Ab den 1960er Jahren wurden der Krieg in Vietnam, die Ostermarschbewegung und die Anti-Atombewegung die zentralen Themen der WFFB.[13]
Kommunistische Tarnorganisation?
Die Gründung der WFFB kann als Reaktion auf die in parteipolitischen, pazifistischen und christlichen Kreisen geführten Auseinandersetzungen um die deutsche Wiederbewaffnung und die zukünftige friedens- und sicherheitspolitische Ausrichtung des westdeutschen Staates verstanden werden. Die weltanschauliche Offenheit der WFFB führte zu einer politischen Haltung, die sich vom Denken in ideologischen Blöcken distanzierte. Die praktische Konsequenz hiervon war der Kontakt zu und die Verständigung mit Frauengruppen in anderen, auch kommunistischen und sozialistischen Ländern. So reichte das friedenspolitische Netzwerk der WFFB-Frauen u. a. in die USA, nach England, Frankreich, die Sowjetunion und nach Vietnam. Vor allem durch ihren Kontakt zu Frauen aus sozialistischen Ländern sahen sich die Mitglieder der WFFB immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, kommunistisch unterwandert zu sein.[14] Sie wurde vom Verfassungsschutz beobachtet, ihre Mitglieder wurden polizeilich überwacht, ihre Häuser und Wohnungen durchsucht, sie wurden verhaftet und angeklagt.[15] Die WFFB wurde als kommunistische Tarnorganisation eingestuft und verboten. 1953 erschien eine vom Verfassungsschutz herausgegebene Liste ‚politischer Tarnorganisationen‘, darunter auch die WFFB. In Bayern protestierte und prozessierte die WFFB gegen diese Diffamierung und erreichte, dass sie in Bayern aus der Liste der verfassungsfeindlichen Organisationen gestrichen wurde. In Rheinland-Pfalz wurde die WFFB ebenfalls verboten, was einen viereinhalbjährigen Prozess der Organisation gegen das Land zur Folge hatte, an dessen Ende das Verbot aufgehoben und die WFFB rehabilitiert wurde.[16]
Klara Marie Faßbinder schreibt in ihrer Autobiographie über diese Zeit: „Über den Velberter Kongreß und die erste Zeit der Entwicklung habe ich in einem Heft ‚Das Geheimnis von Velbert‘ geschrieben und dabei versucht, die Verleumdungen als ‚Tarnorganisation‘, ‚östlich gesteuert und finanziert‘, zu widerlegen. Diese ein Produkt der merkwürdigen Geisteshaltung in der Bundesrepublik, als ob es undenkbar sei, daß irgendein biederer Bundesbürger einen selbständigen politischen Gedanken haben könne. Entweder muß er ihn von Adenauer oder von Ulbricht entliehen haben!“[17]
Die Zeitschrift „Frau und Frieden“
Die Zeitschrift „Frau und Frieden“ erschien zum ersten Mal im Mai 1952. Ständige Mitarbeiterinnen waren Klara Marie Faßbinder, Ingeborg Küster, Elly Steinmann, Maria Deku und Erna Hinz-Vonthron. Die Zeitschrift berichtete über nationale und internationale Kongresse der Friedensorganisationen, über Reisen der WFFB-Mitglieder, über geplante Vorhaben der Bundesregierung zur Wiederaufrüstung, über Proteste gegen diese Wiederaufrüstungsmaßnahmen und ganz allgemein über ihren Kampf gegen die Militarisierung und den Auf- und Ausbau der atomaren Rüstung[18]: „In Form von Leitartikeln, Berichten, Erklärungen, Feuilletons und Satiren bezogen wir Stellung zu den wichtigsten politischen Ereignissen in der Bundesrepublik; vom Kampf gegen die Militarisierung über Proteste gegen Atomwaffen und Notstandsgesetze, Zivildienst für Frauen und Wehrdienstverweigerung bis hin zu Stellungnahmen gegen den Abbau demokratischer Rechte.“[19] Die Zeitschrift erschien von 1952 bis 1974 monatlich. 1974 musste sie aus finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen. Es zeigte sich, dass diese Zeitschrift die Klammer für die Mitglieder der WFFB gewesen war, denn mit dem Verschwinden der Zeitschrift verschwand auch die WFFB. Ein weiterer Grund war, dass es den WFFB-Mitgliedern nicht gelungen war, die nächste Generation von Frauen für ihre Organisation zu gewinnen.[20]
Auch wenn die WFFB weder die Wiedereinführung der Wehrpflicht noch den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO oder das atomare Wettrüsten verhindern konnte, so waren die Frauen doch zutiefst überzeugt, dass ihr Engagement richtig und notwendig war. Ihre persönlichen Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg gaben ihnen die Kraft.
Bestände in Archiven
Da die WFFB keine feste Organisationsstruktur besaß, gibt es auch keinen zusammenhängend überlieferten Archivbestand. Die Reste der Überlieferung dieser Organisation finden sich in verschiedenen Archiven, vermutlich ist einiges noch gar nicht entdeckt, weil es versteckt zwischen anderen Akten und Nachlässen schlummert.
Einige Sammlungen und Nachlasssplitter befinden sich im Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel, z. B. die Nachlässe von Ingeborg Küster (Sign. AddF NL-P-27), Elly Steinmann (Sign. AddF NL-P-40) und die Sammlung „Westdeutsche Frauenfriedensbewegung“ (Sign. AddF SK-51).
Die Bestände sind verzeichnet und die Findbücher können online eingesehen werden.
Auch im Fritz-Küster-Archiv / Sammlung Stefan Appelius im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn befinden sich Überlieferungsreste.
Fußnoten
Digitalisate (Auswahl)
Recherche zum WFFB
Im Online-Katalog META sind Literaturnachweise, Materialien und Digitalisate zur WFFB zu recherchieren.
Literatur über die WFFB
Faßbinder, Klara Maria: Begegnungen und Entscheidungen. Darmstadt 1961.
Küster, Ingeborg / Steinmann, Elly: Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB), in: Geschichte der deutschen Frauenbewegung, hg. v. Florence Hervé, Köln 1982, S. 206-216.
Maltry, Karola: Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt/ New York 1993.
Nödinger, Ingeborg: Für Frieden und Gleichberechtigung. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung in den 50er und 60er Jahren, in: Geschichte der deutschen Frauenbewegung, hg. v. Florence Hervé, unter Mitarbeit von Wiebke Buchholz-Will, 7. verb. und überarb. Aufl., Köln 2001, S. 139–154.
Nyssen, Elke: Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung, in: Feministische Studien 3. Jg., 1984, Nr. 2, S. 66–77.
Steinmann, Elly (Verantw.): 15 Jahre Westdeutsche Frauenfriedensbewegung. Was ist diese Bewegung? Was will sie? Was tut sie?, Gelsenkirchen 1967.
Steinmann, Elly: Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB), in: Brot und Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung, hg. v. Florence Hervé, Frankfurt am Main 1979, S. 170–180.
Steinmann, Elly: Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung. Elly Steinmann erzählt, in: FrauenBilderLeseBuch, hg. v. Elefanten Press, Anna Thüne, Rina Olfe-Schlothauer, 21. - 25. Tsd., Reinbek bei Hamburg 1985, S. 142–155.
Stoehr, Irene: Friedensklärchens Feindinnen: Klara-Marie Fassbinder und das antikommunistische Frauennetzwerke, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechterforschung 2010, Nr. 58, S. 12–21.
Swiderski, Gaby: Entstehung und Entwicklung der Westdeutschen Frauen-Friedensbewegung (WFFB) von 1951 bis 1956, Hamburg 1981, unveröffentlichtes Manuskript, Bestand AddF.