Paula Müller-Otfried
von Eva Wagner und Kerstin Wolff
Paula Müller-Otfried war eine Vertreterin der protestantischen Frauenbewegung, die sie als langjährige Vorsitzende des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (DEF) maßgeblich prägte. 1920-1932 war sie Abgeordnete der Deutschnationalen Volkspartei im Reichstag.
Einsatz für Frauen in der Kirche
Geboren am 7. Juni 1865 in Hoya und getauft auf den Namen Pauline Sophie Christiane Müller, ergänzte sie später ihren Familiennamen mit dem Vornamen ihres Großvaters, Carl Otfried Mueller. Sie wuchs als Tochter eines Beamten in wohlhabenden Verhältnissen auf. Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule in Hannover besuchte sie zur Weiterbildung ein Mädchenpensionat in Lausanne. Sie engagierte sich ab 1893 in der kirchlichen Armenpflege, wo sie unter anderem mit den sozialen Nöten von Prostituierten in Kontakt kam.[2]
Als 1899 der [Deutsch-Evangelische Frauenbund] (DEF) in Kassel gegründet wurde, baute Paula Müller die Ortsgruppe Hannover auf. 1901 übernahm sie das Amt der ersten Vorsitzenden des Bundes. In dieser Funktion warb sie für die Ziele und Forderungen ihrer Organisation, zu denen eine ausgeweitete Berufs- und Fachausbildung für Frauen, deren angemessene Bezahlung, die sich nicht nach dem Geschlecht richten sollte, sowie bessere Arbeitsschutzmaßnahmen zählten.[3] Von 1904 bis 1934 war Paula Müller-Otfried Herausgeberin der Evangelischen Frauenzeitung, dem Vereinsorgan des DEF.
Mit dem Argument, „daß den Pflichten der Frauen auch ihre Rechte entsprechen müssen“[4], forderte Paula Müller-Otfried anlässlich eines Vortrages im Jahr 1903 das aktive und passive Wahlrecht für Frauen in der kirchlichen Gemeinde. Das politische Frauenstimmrecht hingegen bezeichnete sie zu einem späteren Zeitpunkt als „nicht wünschenswert“, da dieses „weder im Interesse der Frauen, noch des gesamten Volkes und Familienlebens“ liege.[5] Ihrer Meinung nach galt es für Frauen, sich auf anderen Gebieten um eine Verbesserung ihrer Rechtslage zu bemühen. So war eine der Forderungen des DEF, das Familienrecht auszubauen – und damit die Abschaffung des unbedingten Entscheidungsrechts des Ehemannes – sowie die Gleichberechtigung bei der Erziehung der gemeinsamen Kinder festzulegen.[6]
Sittlichkeit als Maßstab für eine christliche Frauenbewegung
Die Notwendigkeit der Frauenbewegung sah Paula Müller-Otfried vor allem in deren Beitrag zur weiblichen Bildung. Anlässlich eines Vortrages beklagte Müller-Otfried, dass Frauen, die sich nur im Kreise der Familie bewegten, „so vieles im Leben nur im Ausschnitt und zusammenhanglos“ sähen, während die Frauenbewegung die Urteilskraft der Frauen geschult habe.[7] Es liegt nahe, dass sie auch die Vorbereitung auf ein Engagement für die Gesellschaft im Sinne christlicher Wertvorstellungen meinte, wenn sie wiederholt an den Gemeinsinn der Frauen und an ihr Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Mitmenschen appellierte.[8]
Die von Müller-Otfried geforderte „Verantwortung für das Wohl anderer“[9] spiegelte sich auch in ihren Ansichten über das Zusammenleben von Frau und Mann wider. Als Helene Stöcker im Bund für Mutterschutz für ein unbefangenes Kennenlernen von Mann und Frau „außerhalb der konventionellen Geselligkeit“[10] plädierte, stellte sich Paula Müller-Otfried dem entgegen und machte deutlich, dass für sie die Ehe als „Grundlage des gesamten Volkslebens“[11] die einzig akzeptable Form der Partnerschaft von Frau und Mann darstellte. In diesem Zusammenhang prangerte sie auch die vonseiten des Staates geduldete Doppelmoral an, die es dem Mann erlaube, sich frei außerhalb der Ehe auszuleben, während für die Frau dasselbe Verhalten „Schmach und Schande“[12] nach sich ziehe. Daher lehnte Müller-Otfried, die sich der Abolitionistischen Föderation angeschlossen hatte, die Reglementierung der Prostitution ab, denn diese bedeutete für sie die „staatliche Anerkennung des Lasters“.[13]
Trotz aller Kritik warnte Paula Müller-Otfried vor Feindseligkeit gegenüber dem männlichen Geschlecht; gerade weil Mann und Frau verschieden seien, sollten sie einander ergänzen.[14] Das in der Bibel beschriebene Ideal der „gottgewollte[n] Gefährtin und Gehilfin“ des Mannes stellte sie prinzipiell nicht in Frage, jedoch sei es für das Zusammenleben von Mann und Frau vonnöten, dass die Frau ein „Persönlichkeitsbewußtsein“[15] entwickele und eigene Maßstäbe für ihr Denken und Handeln finde.
Als Frau im Reichstag
Paula Müller-Otfried trat nicht nur durch ihre Vorträge und Schriften in Erscheinung. So gründete sie z. B. mit Adelheid von Bennigsen 1905 das Christlich-soziale Frauenseminar für Frauen und Mädchen in Hannover, wo sie selbst als Dozentin für Armenpflege tätig war. Außerdem war sie im Ersten Weltkrieg für den von Gertrud Bäumer ins Leben gerufenen Nationalen Frauendienst tätig.
Das 1918 eingeführte politische Stimmrecht für Frauen, welches Paula Müller-Otfried zunächst abgelehnt hatte – und dessen Propagierung durch den BDF auch der Grund für den Austritt des DEF aus dem Bund war – verhalf ihr zu einem Sitz im Reichstag der Weimarer Republik. Als sie 1920 für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) kandidierte, fügte sie zur besseren Unterscheidung von gleichnamigen Abgeordneten ihrem Geburtsnamen den Namen ihres Großvaters, Otfried, hinzu.[16] Bis 1932 setzte sie sich als gewählte Volksvertreterin unter anderem für den Frauen- und Jugendschutz sowie für die Belange der Kleinrentner ein.[17] Nachdem Paula Müller-Otfried 1934 den Vorsitz im DEF niedergelegt hatte, zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sie starb am 8. Januar 1946 in Einbeck.
Nachlass
Im Bestand des Deutschen Evangelischen Frauenbundes findet sich ein kleiner Nachlass von Paula Müller-Otfried, der in einem [Online-Findbuch] erschlossen ist. Dieser umfasst fast ausschließlich Manuskripte für Artikel, Reden und Vorträge aus den Jahren zwischen 1900 und 1932.
Fußnoten
Lebenslauf
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1865 Paula Müller-Otfried wird am 7. Juni als Pauline Sophie Christiane Müller im niedersächsischen Hoya als Tochter eines Beamten in wohlhabende Verhältnisse geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter übernimmt Paula den väterlichen Haushalt. Nach Abschluss der Höheren Töchterschule besucht sie für ein Jahr ein Pensionat in Lausanne. Es folgen kunstgeschichtliche Studien und Reisen nach Griechenland, Italien und Österreich.
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1893 Paula Müller-Otfried beginnt ihre Arbeit in der christlichen Armenpflege
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1899 Eintritt in den Deutsch-Evangelischen Frauenbund (DEF) und Aufbau der Ortsgruppe in Hannover.
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1901 Müller-Otfried übernimmt das Amt der ersten Vorsitzenden des DEF, das sie bis 1934 innehat.
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1903 Auf der Hauptversammlung der Freien kirchlich-sozialen Konferenz in Berlin fordert Paula Müller-Otfried das aktive und passive Wahlrecht für Frauen in Kirchengemeinde und Kirchenvorstand. Das politische Stimmrecht für Frauen lehnt sie jedoch ab.
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1904 Paula Müller-Otfried wird Herausgeberin der „Evangelischen Frauenzeitung“.
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1905 Gemeinsam mit Adelheid von Bennigsen gründet Müller-Otfried das Christlich-soziale rauenseminar für Frauen und Mädchen in Hannover (heute Teil der Fachhochschule Hannover), wo sie auch als Dozentin tätig ist.
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1908 Müller-Otfried veröffentlicht ein „Handbuch zur Frauenfrage“. Der DEF tritt dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) bei.
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1913 Paula Müller-Otfried gehört zu einer Gruppe von Frauen, die sich in der Vereinigung konservativer Frauen zusammenschließt.
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1916 Paula Müller-Otfried wird Vorstandsmitglied im BDF. Dieses Amt legt sie bereits 1917 nieder, als der DEF aufgrund von Differenzen um das politische Frauenwahlrecht aus dem BDF austritt.
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1917 Paula Müller-Otfried übernimmt die Leitung des Nationalen Frauendienstes in Hannover.
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1918 Müller-Otfried ist Mitbegründerin der Vereinigung Evangelischer Frauenverbände Deutschlands und wird deren stellvertretende Vorsitzende.
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1920 Anlässlich ihrer Kandidatur für den Reichstag fügt die gebürtige Paula Müller ihrem Nachnamen den zweiten Vornamen ihres Großvaters, Otfried, hinzu.
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1930 Die Georg-August-Universität Göttingen verleiht Paula Müller-Otfried den theologischen Ehrendoktortitel.
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1932 Müller-Otfried legt ihr Mandat für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Reichstag nieder.
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1934 Im DEF wird Paula Müller-Otfried als erste Vorsitzende von Meta Eyl abgelöst. Sie zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück.
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1946 Am 8. Januar stirbt Paula Müller-Otfried im niedersächsischen Einbeck.
Digitalisate (Auswahl)
Manuskripte und Zeitungsartikel von Paula Mueller
Vortrag von Paula Mueller: Meine Reise in besetzte Gebiete. Ortsgruppe Hannover, 13.11.1917
Vortrag von Paula Mueller - Welche Aufgaben erwarten die Frau aus der sittlichen Not unserer Zeit?
Recherche
Im Online-Katalog META sind Literaturnachweise, Materialien und noch mehr Digitalisate zu Paula Mueller-Otfried zu recherchieren
Literatur von Paula Müller-Otfried (Auswahl)
Müller, Paula (Hg.): Handbuch zur Frauenfrage. Der Deutsch-Evangelische Frauenbund in seiner geschichtlichen Entwickelung, seinen Zielen und seiner Arbeit, Berlin-Lichterfelde 1908.
Müller, Paula: Freiheit und Verantwortlichkeit. Eine Auseinandersetzung mit der Neuen Ethik, München 1910.
Müller, Paula: Modernes Leben und sittliche Ideale. Vortrag, in: Hefte zur Frauenfrage Nr. 11, Berlin-Lichterfelde 1912.
Müller, Paula: Ein Frauenprogramm. Bitten an die preußischen Ministerien, in: Hefte zur Frauenfrage Nr. 7, Berlin-Lichterfelde 1912.
Müller, Paula: Die Notwendigkeit der christlichen Frauenbewegung, in: Hefte zur Frauenfrage Nr. 13, Berlin-Lichterfelde 1914.
Müller, Paula: Frauenbewegung und persönliches Leben. Vortrag, gehalten auf der IX. Generalversammlung des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes in Weimar am 20. Mai 1912, in: Hefte zur Frauenfrage Nr. 15, Berlin-Lichterfelde 1914.
Müller, Paula: Die Verantwortung der Frau für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkslebens, in: Hefte zur Frauenfrage Nr. 19, Berlin-Lichterfelde 1918.
Literatur über Paula Müller-Otfried (Auswahl)
Berger, Liselotte: Paula Müller-Otfried (1865-1946), in: Renate Hellwig (Hrsg.): Unterwegs zur Partnerschaft. Die Christdemokratinnen, Stuttgart 1984, S. 88-99.
Kuhn, Halgard: Paula Mueller-Otfried (1865-1946), Sonderdruck aus: Inge Mager (Hg.): Frauenprofile des Luthertums. Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2005, S. 99-122.
Kuhn, Halgard: Paula Mueller-Otfried, 1865 - 1946. In christlicher Verantwortung für das Gemeinwohl, herausgegeben im Juni 2015 anlässlich des 150. Geburtstages der langjährigen Vorsitzenden Paula Mueller-Otfried, [Reihe Verantwortung], Hannover 2015.