Lesungen in 2019
Ursula Krechel las aus ihrem Roman »Geisterbahn«
Sonntag, den 5. Mai 2019
»Geisterbahn, Geisterbahn, wies sie der Vater zurecht, du weißt nicht, was du redest, Geister haben wir schon genug.«
Ursula Krechel erzählt unter dem metaphorisch zu verstehenden Titel »Geisterbahn« von den schrecklichen, aber auch von alltäglichen Erlebnissen einer Sinti-Schaustellerfamilie und einer kommunistischen Arbeiterfamilie im Nationalsozialismus. In einer Trierer Grundschulklasse in der Nachkriegszeit sitzen deren Kinder neben denen von Opportunisten und Tätern. Am Beispiel der beiden Familien zeigt die Autorin, dass die Vergangenheit weder bewältigt noch vergangen ist. Sie verknüpft Realität und Fiktion und vermittelt die beklemmende Atmosphäre des Schweigens und Verdrängens und der uneingestandenen Schuld in der frühen Bundesrepublik. In Rückblenden wird die jeweilige Familiengeschichte aufgerollt und durch Quellenmaterial in einen größeren lokalhistorischen Zusammenhang gestellt.
Susanne Fritz las aus ihrem Buch »Wie kommt der Krieg ins Kind«
Sonntag, den 26. Mai 2019
»Mein linker Zeigefinger neben dem Abdruck ihres linken Zeigefingers auf Tuchfühlung; siebzig Jahre liegen zwischen ihnen. Wo ist meine Mutter, wo ist ihre Seele…?«
In ihrem sehr persönlichen Buch beschreibt Susanne Fritz das Schicksal ihrer Mutter, die 1945 mit 14 Jahren in ein polnisches Arbeitslager verschleppt wurde und erst vier Jahre später wieder freikam. Über die Erlebnisse dort schwieg sie ein Leben lang – und gab das Trauma damit an ihre Tochter weiter. Literarisch, hochreflektiert und mit großem Einfühlungsvermögen erkundet die Autorin die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Familie und die eigene Psyche vor dem Hintergrund von Krieg, Flucht, Vertreibung und der wechselvollen deutsch-polnischen Geschichte. Ein wichtiges und berührendes Buch, das aufzeigt, wie tief sich Verletzungen der Eltern- und Großelterngeneration in die Körper und Seelen der Nachkommen einschreiben können.
Helene Bukowski las aus ihrem Roman "Milchzähne"
Sonntag, den 20. Oktober 2019
„Wieso haben sie Angst vor mir?, fragte sie. Weil du nicht so bist wie sie, antwortete ich“.
Skalde und ihre Mutter Edith leben in einer von der Außenwelt abgeschnittenen Gegend. Dort haben sich die Menschen nach einer ökologischen Katastrophe aus Furcht und Misstrauen gegen die Welt und alles Fremde verbarrikadiert; die Brücke über den Fluss als einzige Verbindung nach außen wurde gesprengt. Eines Tages findet Skalde ein unbekanntes Mädchen am Waldrand und nimmt es auf, obwohl sie – selbst nur geduldet – weiß, dass die Gemeinschaft das Kind nicht akzeptieren wird. Latente Konflikte zwischen Mutter und Tochter und der Gemeinschaft brechen darüber offen aus. In diesem spannenden und berührenden Roman von Helene Bukowski geht es um die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Familie, die Angst vor dem Fremden und vor den Folgen des Klimawandels.