Ingeborg Küster
von Cornelia Wenzel
Ingeborg Küster war eine der führenden Frauen in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung der 1950er und 1960er Jahre. In dem zu dieser Zeit von ihr geleiteten Fritz-Küster-Verlag erschien u.a. 1952 bis 1974 die Zeitschrift Frau und Frieden.
Kindheit und Jugend
Ingeborg Küster, geb. Andreas, entstammte einem politisch geprägten Elternhaus. Sie wuchs zunächst in Wuppertal auf; als ihr Vater, Franz Andreas, 1921 Parteisekretär der SPD für den Bezirk Niederelbe wurde, zog die Familie nach Norddeutschland. 1923-1931 war Franz Andreas Gemeindevorsteher in Altkloster, einem Stadtteil von Buxtehude. Er hat seiner Tochter offenbar früh pazifistische Überzeugungen vermittelt. Ingeborg Andreas begann ihre berufliche Laufbahn 1923, im Alter von 14 Jahren, im Büro einer Papierfabrik.Ging jedoch fünf Jahre später nach Wiesbaden, um in der Redaktion der pazifistischen Zeitung „Die Menschheit“ zu arbeiten. Ein Jahr später wurde sie in Berlin Sekretärin des Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG), Fritz Küster (1889-1966). Küster war auch Herausgeber der Wochenschrift "Das Andere Deutschland", in deren Redaktion Ingeborg Küster ab 1931 mitarbeitete. Parallel zu ihrer journalistischen Arbeit besuchte sie in Berlin als Gasthörerin Vorlesungen an der Hochschule für Politik.[2]
Nationalsozialismus
1933 verlor Ingeborg Andreas wegen der Verhaftung Fritz Küsters und der Auflösung des Büros der DFG durch die Nationalsozialisten ihren Arbeitsplatz. Sie arbeitete nachfolgend für verschiedene Arbeitgeber, u. a. bei der Allianz-Versicherungs-AG[3] und engagierte sich für die Freilassung Fritz Küsters, der in den nächsten Jahren in mehrere Gefängnisse und Konzentrationslager verbracht wurde. Mit dem zwanzig Jahre älteren Mann verband sie längst nicht mehr nur die Politik, sondern auch die Liebe. „Ein ganzes Jahr lang hatte mein Chef versucht, mich durch kalte und unpersönliche Briefe zu entmutigen. Zur Zeit seiner Verhaftung war ich 23 Jahre alt. Er meinte, ein Politiker dürfe keine Frau an sich binden. […] Fritz Küster dachte nie an seinen persönlichen Vorteil, ich sollte die Entbehrungen dieser Jahre nicht seinetwegen auf mich nehmen. Ein Jahr später wußte er, daß meine persönliche Zuneigung und eine feste politische Überzeugung durch nichts zu erschüttern waren. Er wußte, daß ich unser gemeinsames Schicksal längst voll und ganz angenommen hatte.“[4] In der Broschüre „Was draußen geschah“ berichtet sie über die Jahre 1933 bis 1938, in denen Fritz Küster in verschiedenen Konzentrationslagern interniert war, u. a. in Oranienburg und in Buchenwald.[5] Nachdem sie seine Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald[6] erreichen konnte, heirateten Ingeborg und Fritz Küster 1938. Zwar hatte es bei Ingeborg zuvor wohl Irritationen durch einen Walter[7] und/oder Heinz[8] gegeben, letztlich entschied sie sich aber für Fritz. Das Paar bekam 1939 die Tochter Lore und 1944 den Sohn John-Christoph
Die Nachkriegsjahre
Die Jahre bis 1945 waren geprägt von Überlebenskämpfen. Fritz Küster konnte allerdings bald nach dem Krieg in Hannover den Fritz-Küster-Verlag gründen, der bis zur Währungsreform 1948 prosperierte. Ingeborg hatte mit einer schweren Hüfterkrankung zu tun, darüber hinaus bewirkte die nun ganz professionelle Organisation des Verlages, dass sie auf Familie und Kinder zurückgeworfen wurde. „Fritz richtete sich in der Stadt sein erstes kleines Büro ein, dann das zweite, größere […] Stenotypistinnen, Buchhalter, Versandfachleute, Abteilungsleiter, Redakteure und ein Verlagsdirektor schufen eine Arbeitswelt, an der ich nicht Anteil haben konnte. […] Niemals hatte ich während der vergangenen zwölf Jahre im Dritten Reich angenommen, daß ich beim Wiederaufbau in der Stunde Null im Abseits stehen würde. Selbst das Abtippen von Manuskripten war jetzt Sache von Angestellten“.[9] Als Redakteurin war sie im Alltagsgeschäft nicht mehr gefragt. „Fritz war früh am Morgen schon unterwegs […] Er fuhr mit Auto und Chauffeur, was ihm Gelegenheit gab, während der Fahrt zu arbeiten. Abends kam er spät nach Hause. Beim sonntäglichen Frühstück und am Mittag aßen wir zusammen, aber in den übrigen Stunden am Wochenende saß Fritz auch zu Hause am Schreibtisch oder es kamen leitende Herren, um mit ihm in Ruhe zu sprechen. Frauen hatten damals auch bei uns keine ‚Position‘“[10] Dass Ingeborg Küster dennoch nicht nur Gattin und Mutter blieb, sondern sowohl beruflich erfolgreich als auch wieder politisch aktiv wurde, liegt sicher in ihrer politischen Sozialisation begründet, wurde aber durch zeitgeschichtliche Entwicklungen begünstigt. Die Währungsreform 1948 führte dazu, dass der Verlag nach kurzer Zeit zahlungsunfähig wurde. Nun war sie als Redakteurin wieder gefragt und konnte dem auch nachkommen, weil ihre Gesundheit zwischenzeitlich weitgehend wieder hergestellt war. Sie stieg mit Begeisterung wieder ein, „da die Tätigkeit als Journalistin und Redakteurin meinen Vorstellungen und, wie sich später herausstellte, auch meiner Begabung entsprach.“
Von der Frau an seiner Seite zur Friedensaktivistin und Verlegerin
Zur Frauenfriedensbewegung hatte Ingeborg Küster zunächst keinen Kontakt. Selbst als sie aufgefordert wurde, 1951 am „Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ in Velbert teilzunehmen, reagierte sie zunächst desinteressiert: „Muß das sein?“[11], fuhr jedoch mit und wurde umgehend infiziert. „Am Schluß dieses Kongresses in Velbert, dessen Ziel es war, die Frauen als Kriegsgegner zusammenzuführen und als Gegnerinnen der Remilitarisierung zur aktiven Mitarbeit zu motivieren, waren wir alle bereit, in dem jeweiligen Bundesland eine Organisation zu schaffen. Ich habe dann im Bus meine Adresse für die niedersächsischen Frauen bekannt gegeben.“[12] Auf mehreren im Nachlass überlieferten Audiokassetten erzählt sie davon, wie sie von diesem „allgemeinen Enthusiasmus“[13] erfasst wurde.[14] Sie wurde eine der Hauptorganisatorinnen eines weiteren Kongresses am 2. Dezember 1951 in Cuxhaven. Dieser Kongress wurde jedoch in ‚letzter Minute‘ vom zuständigen Regierungspräsidenten abgesagt. Daraufhin ließ die Polizei viele Teilnehmerinnen nicht zum Veranstaltungsort durch und einige – unter ihnen auch Ingeborg Küster – wurden abgeführt und vernommen. In „Windstärke 11 in Cuxhaven. Ein kräftiges Tief zog von Stade herauf. Ein Hoch für 300 mutige Frauen!“ schildert Ingeborg Küster die Geschehnisse um diesen Frauenfriedenstag.
So wurde sie zu einer der Gründerinnen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) und gehörte bis zu deren Auflösung 1974 der geschäftsführenden Leitung und dem Präsidium an. Sie sprach auf vielen Veranstaltungen, reiste als Vertreterin der WFFB u. a. in die damaligen Ostblockstaaten (Sowjetunion, DDR, CSSR) und zu internationalen Frauenfriedenskongressen und pflegte Kontakte zu Frauenorganisationen weltweit. Sie schrieb Artikel für die monatlich erscheinende Zeitschrift „Frau und Frieden“, deren Redaktion sie von 1952 bis 1974 angehörte. „Frau und Frieden“ erschien im Fritz-Küster-Verlag, dessen Leitung sie übernommen hatte, nachdem Fritz Küster 1958 einen Schlaganfall erlitten hatte.
Demokratische Fraueninitiative
Mit Auflösung der WFFB 1974 hörte Ingeborg Küsters Engagement für den Frieden und die Frauen jedoch nicht auf. Sie gründete in der Mitte der 1970er Jahre u. a. mit Elly Steinmann die Demokratische Fraueninitiative (DFI). Ab 1960 engagierte sie sich in der Partei Deutsche Friedens-Union (DFU), wurde deren niedersächsische Landesvorsitzende und kandidierte 1965 für den Bundestag. Ingeborg Küster erhielt auch Ehrungen aus der DDR, so im Mai 1974 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrates der DDR und 1989 mit der Joliot-Curie-Medaille in Gold.[15]
Bis ins hohe Alter hinein berichtete Ingeborg Küster auf vielen Veranstaltungen als Zeitzeugin über ihr Leben und vor allem über ihr Engagement für den Frieden und ihre Reisen in die DDR, nach Kuba, Polen, Ägypten, in die Sowjetunion und andere Länder. Sie ließ sich für Radiosendungen interviewen und veröffentlichte ihre Lebenserinnerungen. Ingeborg Küster starb 2004 im Alter von 95 Jahren.
Die Überlieferung
Der Nachlass von Ingeborg Küster im Archiv der deutschen Frauenbewegung enthält vor allem Korrespondenz, u. a. der geschäftsführenden Leitung der WFFB, sowie eine kleine Sammlung von Unterlagen zu mehreren Frauenfriedenskongressen der 1950er Jahren. Den Hauptteil des Nachlasses bilden 41 Audiokassetten, auf denen neben Aufnahmen von Veranstaltungen mit Küster auch ihre erzählten Lebenserinnerungen zu hören sind.
Einen großen Teil ihres Nachlasses hatte sie 1988 zusammen mit dem ihres Mannes in das damit gegründete Fritz Küster-Archiv für Geschichte und Literatur der Friedensbewegung gegeben. Das Archiv war vom ehemaligen Institut für Politikwissenschaften der Carl-von Ossietzky-Universität Oldenburg eingerichtet worden, hatte allerdings leider keine lange Lebensdauer und wurde bereits 2010 wieder aufgelöst. Mit der Auflösung wurde die Sammlung geteilt: Die Archivalien der Deutschen Friedensgesellschaft — Internationale der Kriegsdienstgegner e.V. (DFG/IdK) wurden vom Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg übernommen. Der andere Sammlungsteil kam in das „Archiv der sozialen Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Unter dem Bestandsnamen „Fritz-Küster-Archiv / Sammlung Appelius“ können die Archivalien dort eingesehen werden. Neben zahlreichen Unterlagen von Ingeborg Küster lagern hier auch Archivalien anderer aktiver Friedensfrauen, u. a. von Hilde Spier (Hamburg) und Grit Weisberg (Essen).
Fußnoten
Digitalisate (Auswahl)
Ingeborg Küster: Windstärke 11 in Cuxhaven, 1951
Ingeborg Küster: Eindrücke in Ägypten, 1954
Ingeborg Küster Reise nach Polen, 1954
Brief der Union des Femmes du Vietnam an Ingeborg Küster von 1977
Einladung und Programm zum Frauen-Friedenstag in Göttingen am 10. Februar 1952
Im Online-Katalog META sind Literaturnachweise, Materialien und Digitalisate zu Ingeborg Küster zu recherchieren
Literatur von Ingeborg Küster
Küster, Ingeborg: Auf dem Prüfstand. Die Frau eines Widerstandskämpfers gibt Auskunft, Berlin 1993.
Küster, Ingeborg: Damals in Velbert, in: Frau und Frieden, 5. Jg., 1952, S. 3.
Küster, Ingeborg: Das Salz der Erde, in: Frau und Frieden. Westdeutsche Frauenfriedensbewegung, 1952, Nr. 6, S. 6.
Küster, Ingeborg: Es ist genug! Überlebens-Erinnerungen einer Pazifistin, Hamburg 1986.
Küster, Ingeborg: Politik – haben Sie das denn nötig? Autobiografie einer Pazifistin, Hamburg 1983.
Küster, Ingeborg: Überrollt vom Kalten Krieg. Die Gründung der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung 1951/52, in: Fritz Küster. Der Frieden muß erkämpft werden. Aufsätze eines deutschen Pazifisten, hg. v. Stefan Appelius, Oldenburg 1989, S. 128-152.
Küster, Ingeborg: Verlobung in Oranienburg, in: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933-45, hg. v. Gerda Zorn u. Gertrud Meyer, Berlin 1974, S. 25-27.
Küster, Ingeborg: Was draußen geschah. Erlebtes zwischen 1933 und 1938, Hannover 1948.
Literatur über Ingeborg Küster
Appelius, Stefan: Pazifismus in Westdeutschland. Die Deutsche Friedensgesellschaft 1945-1968, 2 Bde, Aachen 1991.
Hervé, Florence: Brot & Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung, Frankfurt am Main 1979.
Hervé, Florence: Fast vergessen – die Frauenfriedensbewegung in der BRD, (aufgerufen am 21.10.2019).
Ingeborg Küster in: Frauen für den Frieden. Vorbilder in Vergangenheit und Gegenwart im Kampf gegen Militarismus und Krieg. Daten, Lebensläufe, Abbildungen, Zitate, Aktionen, Kongresse, Bewegungen, Organisationen, hg. v. Elisabeth Zeile, Essen 1981, S. 121-123.
Ingeborg Küster in: Hannoversche Frauen gegen den Faschismus 1933-1945. Lebensberichte. Ein Beitrag zur Stadtgeschichte, hg. v. VVN-Bund der Antifaschisten, Hannover 1983, S. 15 (AddF, Kassel, NL-P-27 ; 2-4).
Ingeborg Küster, in: Seit 90 Jahren. Frauen für Frieden. Dokumentation, hg. v. Elisabeth Brändle-Zeile, Stuttgart 1983, S. 106-108.