Jahresserie #100JahreCauer

#100JahreCauer Folge 1

„Schaffe und hoffe!“[1]

#125JahreSelbert ist vorbei – doch das ist für uns kein Grund, den Blick von den Protagonistinnen der Frauenbewegung zu nehmen. Lieber möchten wir ihn auf eine andere Akteurin richten und in die spannenden Momente ihres Lebens eintauchen. In diesem Jahr werden wir in unserer neuen Serie anlässlich ihres 100. Todestages die Pädagogin, Journalistin und radikale Frauenrechtlerin #MinnaCauer vorstellen.

Minna Cauer verbrachte eine klassische Kindheit und Jugend als bürgerliche Tochter. Erst durch ihren zweiten Ehemann, einen fortschrittlichen Pädagogen, geriet die #Frauenbewegung in ihr Blickfeld und einmal auf das Gefälle im Geschlechterverhältnis aufmerksam geworden, griff sie energisch ein. Sie thematisierte Fragen der Mädchen- und #Frauenbildung, aber auch die Durchsetzung des Stimmrechts, die Reglementierung der Prostitution und noch manches andere.

Als sich der radikale Flügel formierte – neben Cauer z.B. #LidaGustavaHeymann, #AnitaAugspurg, #HeleneStöcker und #MariaLischnewska – und zum Verband Fortschrittlicher #Frauenvereine zusammenschloss, war sie dabei. Über 25 Jahre gab sie die Zeitschrift Die Frauenbewegung (1895 – 1919) als dessen wichtigstes Forum heraus und sie suchte auch den Kontakt zu den Sozialistinnen, insbesondere zu #ClaraZetkin.

Aber #MinnaCauer beschränkte sich nie auf die Frauenbewegung. Sie gehörte der von #BerthaVonSuttner gegründeten #DeutschenFriedensgesellschaft an, und als Frauen 1908 endlich politischen Parteien beitreten durften, engagierte sie sich in der #DemokratischenVereinigung.

Im Abschiedsartikel des letzten Heftes der Frauenbewegung nennt sie ihr Lebensmotto: „Schaffe und hoffe!“

Freut euch auf diese spannende Protagonistin der alten Frauenbewegung!

#120JahreCauer Folge 2

„Ich stehe inmitten der Frauenbewegung“[2]

Minna Cauer war es nicht in die Wiege gelegt worden, eine radikale Frauenrechtlerin zu werden. Die Pfarrerstochter aus der Prignitz im nördlichen Brandenburg verlebte die typische Kindheit und Jugend einer gutbürgerlichen Tochter. Mit 21 Jahren heiratete sie einen Arzt und bekam einen Sohn, tragischerweise verstarben beide nach wenigen Jahren. Minna Cauer wurde Lehrerin, arbeitete einige Zeit in Paris und ging dann nach Hamm in Westfalen. Dort schloss sie 1869 eine zweite Ehe mit dem Historiker und Pädagogen Eduard Cauer, der ihr fortschrittliche pädagogische Ideen und die Anliegen der bürgerlichen Frauenbewegung nahebrachte. 1871 wurde Cauer als Stadtschulrat nach Berlin berufen; dort publizierte er 1878 eine Broschüre zur höheren Mädchenschule und zur Lehrerinnenfrage. Minna Cauer näherte sich der Frauenbewegung nur zögerlich und erst Jahre später an, nachdem sie wiederum Witwe geworden war, dann jedoch mit energischem Einsatz. 1887 unterstützte sie Helene Lange bei der Gelben Broschüre, mit der die Verbesserung der Mädchenbildung eingeklagt wurde. Wenig später gründete sie den Verein Frauenwohl mit, der ebenfalls für bessere Frauenbildung kämpfte und „neues frisches Leben in die damals vorhandene Stagnation der Frauenbewegung“[3] tragen wollte. Der Verein initiierte unter anderem 1893 eine der Keimzellen professionaler Sozialarbeit, die Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, wo Minna Cauer mit Jeanette Schwerin und Alice Salomon zusammentraf. Doch dann wandte sie sich mehr und mehr dem Kampf um die Rechtsstellung der Frauen zu und gegen die doppelte Moral, wie sie in der Behandlung von Prostituierten zum Ausdruck kam. Mitte der 1890er Jahre war Minna Cauer tatsächlich mitten in der Frauenbewegung angekommen!

#100JahreCauer Folge 3

„Ein neuer Geist, ein lebhafteres, frischeres Tempo“[4]

Ende der 1880er Jahre wurden Minna Cauer und der Verein Frauenwohl in der bürgerlichen Frauenbewegung zum Sprachrohr der ‚Radikalen‘ gegenüber den ‚Gemäßigten‘. Die jüngere Generation begann aufzubegehren – der „linke Flügel“ formierte sich. Diese Jungen – neben Cauer z.B.  Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, Maria Lischnewska, Marie Stritt – forderten mehr Schwung in der Bewegung, hatten aber auch andere Themen im Blick: Neben Bildung und Beruf vor allem die Sexualmoral und die Rechtsstellung von Frauen. Sie forderten, dass die Reglementierung der Prostitution, Zeichen der herrschenden Doppelmoral, abgeschafft werde. Und das demokratische Frauenstimmrecht war für sie eine Selbstverständlichkeit, sie verlangten es offensiv und kämpferisch. Minna Cauer gab ab 1895 die Frauenbewegung heraus. Mit den Beilagen Zeitschrift für Frauenstimmrecht und Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung bildete sie das wichtigste Forum der radikal-bürgerlichenFrauenbewegung. Hier diskutierten Minna Cauer und die anderen Radikalen zum Beispiel auch ihre Vorstellungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch, in dem sie (leider weitgehend erfolglos) Verbesserung zu den Rechten von Frauen durchsetzen wollten. 1899 schlossen sich etwa 20 Vereine – neben Frauenstimmrechtsvereinen auch der Verein Frauenbildung- Frauenstudium und der deutsche Zweig der #InternationalenAbolitionistischenFöderation – zum Verband Fortschrittlicher Frauenvereine zusammen. Er sollte „zu allen Gebieten des öffentlichen Lebens Stellung nehmen“ und auch „der Entfremdung von der Arbeiterinnensache Einhalt tun“, sprich den Schulterschluss mit der proletarischen Frauenbewegung suchen. „Es sollte ein Kampfverband sein“[5], schrieb Minna Cauer, die auch den Vorsitz übernahm.

#100JahreCauer Folge 4

Grenzgängerin zwischen den Frauenbewegungen

Minna Cauer empfand sich als Republikanerin, ihr Engagement in der Frauenbewegung war für sie ein Einsatz für die Demokratie. Folgerichtig machte sie, gemeinsam mit den anderen Frauen des radikalen Flügels, immer wieder Vorstöße, um das gemeinsame Vorgehen von bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung zu erreichen. „Die Radikalen wollten nicht nur f ü r die Arbeiterinnen irgend etwas erstreben, sondern auch gemeinsam m i t ihnen kämpfen für die Befreiung der Arbeiterin als Frau.“[6] Obwohl sie Mitstreiterinnen wie Lily Braun, Lina Morgenstern und Jeanette Schwerin hatte, scheiterte Minna Cauer mit diesem Anspruch sowohl 1894 bei der Gründung des Dachverbandes Bund Deutscher Frauenvereine als auch zwei Jahre später bei der Organisation des Internationalen Kongresses für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin. Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen blieben unter sich, die Sozialistinnen grenzten sich ab, die von Clara Zetkin propagierte „reinliche Scheidung“ war unüberwindlich. Es galt „für die Radikalen in der Arbeiterinnenfrage nach rechts die Gleichgültigkeit und Ängstlichkeit der bürgerlichen Frauen, nach links hin das planmäßig gesäte Mißtrauen zu überwinden“[7]. Das ist Minna Cauer nicht gelungen, aber sie blieb lebenslang eine Grenzgängerin. In ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung brachte sie relevante Themen in die öffentliche Debatte ein und ließ Mitkämpferinnen zu Wort kommen. Und sie pflegte den persönlichen Kontakt zu Clara Zetkin, die sie sehr schätzte. „Heute war Frau Zetkin vier Stunden bei mir“ schrieb sie 1912 in ihr Tagebuch, „Welch‘ eine Frau! Ja, wenn wir viele solche Frauen unter uns hätten!“ Und sie kommt zu dem Schluss: „Im Grunde bin ich Sozialistin … Auch ich glaube an die Macht der Masse … und die Aufgabe unserer Zeit ist es, die Masse zu erziehen.“[8]

 

#100JahreCauer Folge 5

Eine Revue für die Interessen der Frau

Minna Cauer war eine talentierte Journalistin. Nachdem sie in den Anfangsjahren des Vereins Frauenwohl dessen Verbandsorgan betreut hatte, startete sie 1895 ihr journalistisches Hauptwerk: Die Frauenbewegung. Eine Revue für die Interessen der Frau. Denn, so Minna Cauer: „Wir haben Mode- und Hausfrauen-Zeitungen; wir haben kleine Vereinsorgane aller Art; wir haben Zeitschriften, welche entweder die Bestrebungen der bürgerlichen oder die der proletarischen Frau ausschließlich vertreten.“ Die Frauenbewegung aber sollte „der Frauenbewegung in all ihren Gebieten gerecht werden“ und  „ein vorwärtstreibender, das Gemeinschaftsgefühl stärkender Faktor“[9] werden. Tatsächlich wurde sie das Sprachrohr der radikal-bürgerlichen Frauenbewegung, in dem vor allem die völlig unzulängliche Rechtsstellung von Frauen als Wählerinnen, als Ehefrauen und Mütter und in manch anderer Hinsicht thematisiert wurde. Von 1899 bis 1906 gab es die Beilage Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung, redigiert von Anita Augspurg, ab 1907 die Zeitschrift für Frauenstimmrecht, die erst Ende 1918 mit der Erlangung des Frauenstimmrechts eingestellt wurde. Im Dezember 1919 verabschiedete sich Minna Cauer von ihren Leserinnen: „Meine Aufgabe innerhalb der Frauenbewegung halte ich für erfüllt (…) Andere und größere Probleme liegen auch für mich vor, (…) die in einem Frauenblatt nicht den nötigen Resonanzboden finden dürften.“[10] Mit ihrer Zeitschrift hat sie 25 Jahre lang Frauenbewegungsgeschichte geschrieben. Ein vom AddF erstellter Registerband[11] ist im Digitalen Deutschen Frauenarchiv verfügbar, die Digitalisierung der gesamten Zeitschrift ist in Arbeit.

#100JahreCauer Folge 6

"Traum meiner Jugend, Erfüllung im Alter!"

Für Minna Cauer war klar, dass das Frauenstimmrecht schnell kommen musste, schließlich war dies eine der offensichtlichsten Diskriminierungen, denen alle Frauen gleichermaßen ausgesetzt waren. Deshalb engagierte sie sich früh für das Stimmrecht, publizierte dazu, hielt Reden und Vorträge, war Mitglied im Deutschen Verband für Frauenstimmrecht und leitete hier die Sektion Preußen.
Als sich 1908 zum ersten Mal die Parteien für Frauen öffneten, nahm die Frage nach dem Frauenwahlrecht Fahrt auf. Heute sind die Debatten, die daraufhin geführt wurden, unverständlich. Sollten sich Frauen für ein Wahlrecht einsetzten wie Männer es auch hatten und damit auch ungleiche Wahlrechte, wie es sie in einigen Ländern und Kommunen gab, akzeptieren? Oder sollten sie sich nicht mit dem Männerwahlrecht befassen und einfach ein „Frauenwahlrecht“ fordern? Oder – und hier finden wir Minna Cauer – sollte es darum gehen, gleich ein freies, gleiches und geheimes Wahlrecht für alle (also auch für Männer!) zu erstreiten? An dieser Frage spalteten sich die deutschen Frauenwahlrechtsgruppen und auch die Radikalen waren sich nicht mehr einig. Das Ende vom Lied waren drei unabhängige Frauenstimmrechtsvereine, die es nicht schafften, sich in dieser Frage zu einigen. Diese Zersplitterung war für Cauer schwer auszuhalten, 1912 schien es, als wenn sie sich ganz aus diesem Thema zurückziehen würde. Aber sie blieb und machte auch über ihre Zeitschrift: Zeitschrift für Frauenstimmrecht weiter Propaganda für das von ihr favorisierte Wahlrecht. Cauer musste noch etwas warten, aber 1918 war es dann soweit: Das Wahlrecht wurde reformiert und ein gleiches, geheimes und allgemeines Wahlrecht für alle Männer und Frauen eingeführt. So entstand eines der berühmtesten Zitate von Cauer, die in ihrem Tagebuch notierte: „Traum meiner Jugend, Erfüllung im Alter! Ich sterbe als Republikanerin.“[12]

#100JahreCauer Folge 7

„Ich arbeite nur noch politisch“[13]

Minna Cauer hat sich nie ausschließlich als Frauenrechtlerin verstanden. Gleich im ersten Heft ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung stellte sie klar, dass die Sache der Frauen „im innigsten Zusammenhang mit all den großen Fragen [steht], deren Lösung nur durch die gemeinsame treue Arbeit beider Geschlechter gefunden werden kann.“[14] Der Kampf um das gleiche, freie, geheime und direkt Wahlrecht war ihr nicht Ziel, sondern Voraussetzung, um ein demokratisches System mitaufzubauen. Der Frauenfriedensbewegung im Ersten Weltkrieg fühlte sie sich verbunden, den Zusammenschluss der Friedens- und Stimmrechtsvereine lehnte sie aber ab: „Die Stimmrechtlerinnen sind lange nicht Friedensapostelinnen u. umgekehrt.“[15] Nachdem der Krieg endlich zu Ende, die Republik ausgerufen und das Wahlrecht verkündet war, wurde Minna Cauer Mitglied einer Partei: „Ich bin leider in einem schwachen Augenblick auf Zureden mir lieber Freunde der Deutsch Dem. Partei beigetreten, weil ich glaubte, sie würde eine starke Linke bilden. Das war ein Irrtum, ich will […] aber keine Sache daraus machen. Ich bin trotz allem, was jetzt in der sozialdem. Partei vorliegt, Sozialistin, jedoch bin ich kein Parteimensch, das fühle ich immer mehr.“[16] Sie hoffte, dass die Zeit der „Nur-Frauenrechtlerinnen“ vorbei sei und Frauen sich in der Politik, aber vor allem für die Sicherung des Friedens einsetzen würden: „Völkerbund. Vortrefflich! In so etwas müßen wir eingreifen. Ich will es versuchen“[17], schrieb die zu diesem Zeitpunkt 76Jährige an eine junge Mitkämpferin.

 

#100JahreCauer Folge 8

„Ich wollte, wir hätten viele solche Frauen“[18]

„Ja, wenn ich Sie hier hätte, wir Beide würden schon ein wenig Dampf machen“[19] – so schrieb die 76-jährige Minna Cauer Anfang des Jahres 1918 an die 25-jährige Betty Binder-Asch (1892-1964). Seit 1913 korrespondierte sie mit dieser jungen Frau und war sehr schnell zu deren Mentorin geworden. ‚Fräulein Asch‘ engagierte sich im Berliner Stimmrechtsverband, bevor sie heiratete, ein Kind bekam und nach Stuttgart verzog. Minna Cauer beklagte das sehr, gab jedoch von Ferne reichlich gute Ratschläge, wo und wie sich die junge Frau in die Württembergische Stimmrechtsbewegung einbringen und vor allem wie sie sich bei Konflikten durchsetzen könne. „Es sind wenig junge Kräfte in unserer Richtung vorhanden. Es ist so traurig, daß sie fast alle so schnell wie möglich sich guten Erwerb suchen, dann kein Interesse mehr haben oder aber sich so erhaben fühlen, sobald Ihnen einmal ein Vortrag gelungen ist, daß sie dann keine Kleinarbeit mehr tun mögen.“[20] Die beiden Frauen diskutierten auch über Trennendes und Gemeinsames von Stimmrechts- und Friedensbewegung, beides lag ihnen am Herzen, aber vorerst hatte das Stimmrecht Vorrang: „Wenn der Frieden da ist, dann wollen wir gemeinsam für die Versöhnung u. Verständigung der Völker arbeiten.“[21] Betty Binder-Asch hat das später in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit noch sehr lange getan, nicht nur nach dem Ersten, auch wieder nach dem Zweiten Weltkrieg. Minna Cauers Wunsch „Vielleicht wird die Saat einst Früchte tragen, wenn ich nicht mehr bin“[22], ist zumindest in diesem Fall in Erfüllung gegangen!

#100JahreCauer Folge 9

Alles erreicht?

In der Weimarer Republik gab es keine radikale Frauenbewegung mehr, Minna Cauer gab auch noch ihre Zeitschrift: Die Frauenbewegung auf und meinte, es sei nun alles erreicht. Aber war es das? Warum engagierten sich die Radikalen, warum engagierte sich Minna Cauer nicht weiter? Sicher, auch das Alter spielte hier eine Rolle. 1918 war Cauer immerhin 77 Jahre alt. Aber der Zerfall der Radikalen begann schon früher. Die Historikerin Anne-Laure Briatte, die sich am intensivsten mit den Radikalen beschäftigt hat, sieht das Problem bei diesen in ihrer Parlamentsfixiertheit. Für Cauer und ihre Mitstreiterinnen war die Frauenfrage vor allem eine rechtliche Frage, die über das Gesetzgebungsverfahren geregelt werden musste. Dreh- und Angelpunkt war also der Reichstag als Ort praktischer Politik. Aber, so Briatte weiter, die Radikalen übersahen, dass der Reichstag im Kaiserreich noch nicht diese Rolle einnahm. Lange noch bestimmten der Kaiser und der von ihm ernannte Reichskanzler die politischen Geschicke. Als lupenreine Demokratin war aber Cauer der Überzeugung, dass das Parlament der eigentliche Ort von politischen Entscheidungen sein sollte, eine Vorstellung die sich allerdings erst langsam herauszukristallisieren begann. Dazu kam, dass die Radikalen es durch ihre vorpreschende Politik geschafft hatten, den gemäßigten BDF thematisch vor sich her zu treiben. Viele einstmals radikale Forderungen fanden sich zeitverzögert auch beim BDF. So war es fast folgerichtig, dass sich der Verband der fortschrittlichen Frauenvereine 1907 dem BDF anschloss, allerdings ohne Minna Cauer, Augspurg und Heymann. Als dann auch noch nach dem Weltkrieg das Wahlrecht reformiert wurde und die Parlamente nun auch für Politikerinnen offen waren, glaubte Minna Cauer ihre Arbeit einstellen zu können. Wir wissen heute, dass dieser Schritt zu früh erfolgte.[23]

 

#100JahreCauer Folge 10

„Bausteine zum einstigen geschichtlichen Denkmal“[24]

„Vierzehn starke Bände eng beschriebener Tagebücher liegen vor uns“[25] schrieb Else Lüders im Vorwort zu Minna Cauer. Leben und Werk. Als langjährige Mitarbeiterin Cauers war sie von deren Großnichte Lilly Somerhausen gebeten worden, aus den hinterlassenen Schriften dieses Buch [26]zusammenzustellen. Ihre Textauswahl und Interpretation war und ist umstritten. Immerhin lag damit aber schon drei Jahre nach Cauers Tod ein mehr als 300 Seiten starker Band über deren Denken und Wirken vor. Glücklicherweise sind wir heute nicht auf die Auswahl von Else Lüders angewiesen, denn die Tagebücher gibt es noch. Einige davon liegen im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam[27] und auch im FrauenMediaTurm in Köln. Die Tagebücher aus dem Bestand des FrauenMediaTurm sind bereits digitalisiert und online nutzbar[28].
Minna Cauer schrieb mit Unterbrechungen, oft auf Reisen oder in Situationen, wenn sie sich Erholung von der Alltagsarbeit gönnte. Sie hatte wohl auch den Plan, „meine Gedanken, Überzeugungen über die Frauenbewegung nach u. nach hier zum Ausdruck zu bringen“[29], doch das taucht nur gelegentlich auf, diese Themen sind dezidierter in ihrer Zeitschrift Die Frauenbewegung zu finden. Dagegen legen die Tagebücher Zeugnis ab vom Auf und Ab freundschaftlicher Beziehungen, von Cauers „leidenschaftlichem Temperament, das ebenso stark im Lieben wie im Hassen war.“[30] Dagmar Jank hat eine erste Einschätzung[31] der sieben späten Tagebücher abgegeben, eine gründliche Analyse aller Cauer-Tagebücher steht noch aus. Sie könnte ganz gewiss neue Erkenntnisse zu „Minna Cauers Leben und Werk“ hervorbringen!

#100JahreCauer Folge 11

„Mit herzlichem Gruß, Ihre Minna Cauer“

Minna Cauer war zeitlebens eine eifrige Briefschreiberin. Würde sie heute leben, wäre sie vermutlich auf Twitter und Whatsapp unterwegs. Zu ihrer Zeit gab es nur das, was wir mitleidig oder amüsiert als snail-mail bezeichnen – die aber nutzte sie täglich. Für einen Briefband, den Else Lüders und Lilly von Somerhausen nach Cauers Tod zusammenstellen wollten, waren 1.000 Briefe ausgewählt worden (es muss also noch mehr gegeben haben!). Der Band kam leider nicht zustande und der größte Teil der Briefe scheint im Zweiten Weltkrieg zerstört worden zu sein. Aber wenn man sich auf die Suche macht, sind doch noch erstaunlich viele ihrer – geschäftlichen und privaten – Korrespondenzen aufzufinden:

Im AddF liegen 32 Schreiben an Betty Binder-Asch und sieben an Grete Meisel-Hess.

Im FrauenMediaTurm wird die 105 Briefe umfassende Korrespondenz mit ihrem Ehemann Eduard Cauer aus den Jahren 1869 bis 1873 aufbewahrt, im Helene-Lange-Archiv diverse Korrespondenzen mit Mitstreiterinnen aus dem Bund Deutscher Frauenvereine.

Die Cauer-Papers im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam enthalten ca. 40 Briefe, u.a. Schriftwechsel mit Rudolf Breitscheid, August Bebel, Albert Einstein oder Selma Lagerlöf.

Und eine einfache schnelle Suche in Kalliope, dem Informationssystem für Nachlässe und Autographen, bringt weitere 63 Treffer in anderen Archiven. – Da gäbe es also einiges zu lesen und auszuwerten!

Den letzten Brief ihres Lebens schrieb Minna Cauer am 15. Juli 1922 an ihre langjährige Freundin Emma Muschka von Witt, sie verabschiedete sich von der „treuesten Seele, die ich auf Erden hatte.“[32]

#100JahreCauer Folge 12

"Rückblick auf zwölf Monate mit Minna Cauer - eine erste Bilanz"

Klassisch aufgewachsen als bürgerliche Tochter, hatte sie zunächst nicht wirklich frauenbewegte Ambitionen und musste früh viele Schicksalsschläge verarbeiten. Ihr zweiter Ehemann, Eduard Cauer, brachte sie zur Frauenbewegung. Nach seinem Tod stieg Minna Cauer tief in die Frauenbewegung ein und war nicht nur eine Interessierte - nein, sie wurde zu einer tragenden Akteurin.

Bald war sie Führerin des radikalen Flügels - für das Frauenstimmrecht, für die Frauenbildung, für den Frieden. Ihre lebhaften Korrespondenzen mit dem Who-is-who der Frauenbewegung zeichnen ein facettenreiches Bild einer starken, widerstands- und durchsetzungsfähigen Minna Cauer, die ihr Leben dem Frauenwahlrecht widmete und die bis zum Ende als Demokratin politisch dachte und handelte. - Auch, wenn sie in privaten Dingen häufiger eine gewisse Sprunghaftigkeit an den Tag legte. Ihre leidenschaftliche Autorinnen- und Verlegerinnentätigkeit unter anderem für "Die Frauenbewegung", geben allen Interessierten* und Historiker*innen bis heute Auskunft und Einblicke in die Frauenbewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Briefwechsel und Tagebücher in die intimeren Seiten ihrer Denkweisen.

Wir sagen Danke an Minna Cauer, für den Kampf, den sie stellvertretend und zielstrebig für alle Frauen führte und deren politische Resilienz sich in Erfolgen wie der Mädchenbildung, der Förderung der Koedukation sowie dem Frauenwahlrecht niederschlugen. Wir wünschten, sie hätte noch mehr Früchte ihres erbitterten Kampfes für die Rechte der Frauen bereits zu ihren Lebzeiten ernten können.

Wir verbleiben mit feministischem Dank.

#100JahreCauer - Epilog

Aufforderung zum Handeln - reloaded

Wir sind am Ende von #100JahreCauer angekommen – und wir schließen die Serie mit einem Aufruf, den wir bereits im Jahr 1995 !!! vor über 25 Jahren !!! schon einmal in der Ariadne veröffentlicht haben. Er hatte den Titel: Aufforderung zum Handeln: Einige Worte über Minna Cauers Erbe an die Frauenbewegung* und es hieß darin: „Minna Cauer ist […] eine der schillernsten Figuren, die im Nebel der Geschichte flimmert und eine Ahnung vergangener Frauengewalten aufkommen läßt. Leider ist das Bild unscharf, nicht klar zu erkennen, aber das was dort blitzt, lockt gerade wegen der Uneindeutigkeit zu näherem Hinsehen. […]
Einerseits gehört Cauer zu denjenigen, die von der ‚neuen‘ Frauenbewegung vergleichsweise früh wiederentdeckt wurden, andererseits blieb bis heute ihre Biographie ungeschrieben.“

Wir haben in dieser Serie immer wieder erwähnt, welche Schätze zu heben sind: Nachlassteile in Amsterdam und in Köln, Korrespondenzen in vielen Archiven und auch Cauers Publikationen, die Zeitschrift und ihre Bücher, sind greifbar, zum Teil bereits digital open source. Noch einmal der Aufruf von 1995:

„… welch verlockende Erkenntnisgewinne winken da aus den Archivkartons [...] Sollte es tatsächlich keine Wissenschaftlerinnen geben, die den Zugriff wagen? An's Werk, Doktorandinnen! Nur Mut, Magistra! Wer weiß, vielleicht ist gar eine Habilitation zu machen? Das wäre nicht nur ein Tribut an die Vergangenheit und eine Referenz an eine bedeutende Frau, sondern auch, da bin ich mir sicher, eine Bereicherung von Gegenwart und Zukunft der Frauenbewegung.“ Cornelia Wenzel, 1995.

Dem ist noch immer nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht Minna Cauers Motto:

»Schaffe und hoffe!«

Fußnoten

[1]
Cauer, Minna: 25. Jahre. Ein Abschluß. in: Die Frauenbewegung, 25. Jg., 1919, S. VIII.
[2]
Lüders, Else: Minna Cauer – Leben und Werk, Gotha 1925, S. 75.
[3]
Cauer, Minna: 25 Verein Frauenwohl Groß-Berlin, Berlin 1913, S. 6.
[4]
Lüders, Else: Der linke Flügel, Berlin 1904, S. 22 + 52
[5]
Cauer, Minna: 25 Jahre Verein Frauenwohl, Berlin 1913, S. 16
[6]
Lüders, Else: Der linke Flügel, Berlin 1913, S. 59.
[7]
Ebd.
[8]
Lüders, Else: Minna Cauer. Leben und Werk dargestellt an Hand ihrer Tagebücher und nachgelassenen Schriften, Gotha 1925, S. 159, zit. nach Dagmar Jank: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/minna-cauer (09.02.2022).
[9]
Cauer, Minna: Programm, in: Die Frauenbewegung, 1. Jg., Heft 1, S.1.
Cauer, Minna: 25 Jahre. Ein Abschluß, in: Die Frauenbewegung, 25. Jg., Heft 24, S.1.
Else Lüders: Minna Cauer, S. 280f.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 20.06.1918, AddF NL-P-55; 01-30, S.5.
Cauer, Minna: Programm, in: Die Frauenbewegung, 1. Jg., Heft 1, S. 1.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 03.04.1918, AddF NL-P-55; 01-27, S.4.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 09.01.1919, AddF NL-P-55; 01-31, S.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 20.06.1918, AddF NL-P-55; 01-30, S.8.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 29.01.1918, AddF NL-P-55; 01-23, S. 1.
Ebenda, S.3.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 29.12.1917, AddF NL-P-55; 01-22, S.3.
Ebenda, S.4.
Minna Cauer an Betty Binder-Asch am 19.05.1918, AddF NL-P-55; 01-28, S.4.
Literatur: Briatte, Anne-Laure: Bevormundete Staatsbürgerinnen. Die "radikale" Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt/New York 2020.
Else Lüders (Hg.): Minna Cauer. Leben und Werk, Gotha 1925, S. 307.
Ebd., S.V.
Ebd., S.V.
Ebd. S.V.
Zitiert nach: Lüders, Else (Hg.): Minna Cauer. Leben und Werk, Gotha 1925, S. 293.

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