Kosten
19 €
Umfang
140 Seiten
Erschienen
Juni 2008
Heft 53/54
Mädchenschulgeschichte(n)
Die preußische Mädchenschulreform und ihre Folgen
Die historische Frauen- und Geschlechterforschung hat vielfach gezeigt, dass sich klassische historische Datierungen verschieben können, wenn man den Blick auf die Geschichte von Frauen und ihre Kämpfe richtet. Das Jahr 1908 bietet dafür ein gutes Beispiel. Der große Stein Kulturfahrplan weiß unter anderem über dieses Jahr zu berichten, dass Österreich-Ungarn Bosnien und Herzegowina annektierte, dass Wolfgang Gaede die Kapselluftpumpe erfand, dass es ein Zeppelinunglück bei Echterdingen gab und, dass das Flottengesetz von Alfred von Tirpitz angenommen wurde.
Erwähnt wird auch das Reichsvereinsgesetz, das Einschränkungen politischer Vereine aufhob. Hinter der knappen Information verbarg sich ein politischer Erfolg der Frauenbewegung im frühen 20. Jahrhundert, denn, so erläutert Ute Gerhard (Frauen in der Geschichte des Rechts), die Vereinsgesetze in Preußen, Bayern und den anderen Staaten verboten, Frauen »›politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern‹«. Bei Zuwiderhandlung konnte die Versammlung bzw. der gesamte Verein aufgelöst werden. Frauen waren also bis 1908 von der Partizipation in politischen Vereinen und Parteien ausgeschlossen. 1908 wurde ein reichseinheitliches Vereinsgesetz erlassen und bereits am Tag nach Inkrafttreten dieses Gesetzes war der Weg für Frauen frei, Mitglied in einer politischen Partei zu werden.
Die Preußische Mädchenschulreform im Jahr 1908 veränderte das Leben von Frauen und Mädchen im Kaiserreich nachdrücklich. Die Frauenvereine hatten schon über zwei Jahrzehnte früher die ›unpolitischen‹ Themen Bildung und Erwerb zu ihren Anliegen gemacht. Nach langem, zähem Kampf war es Lehrerinnen, Liberalen und Frauenrechtlerinnen gelungen, den preußischen Staat an seine Verantwortung für seine Töchter zu erinnern. Bis dahin war die Schulausbildung der Mädchen von privaten oder kommunalen Händen organisiert worden. 1908 endlich bekam das Mädchenschulsystem eine verbindliche Form, die Abschlüsse der Mädchenschulen berechtigten zur Aufnahme einer weiterführenden Ausbildung und sogar eines Studiums, die Lehrerinnenausbildung wurde neu strukturiert. Da auch damals Schulentwicklung Länderhoheit war, ist die Reform in Preußen als Beginn der Mädchenschulreformen zu sehen, die in den anderen deutschen Ländern sukzessive vorgenommen wurden.
Die Preußische Mädchenschulreform von 1908 eröffnete den Weg zu einer eigenständigen weiblichen Bildung und Ausbildung in Deutschland – ein Schritt, der bis heute an Wichtigkeit nichts verloren hat. Wir möchten mit dieser Ausgabe der Ariadne den Stellenwert dieser Veränderung ins öffentliche Bewusstsein holen, damit in der nächsten Ausgabe des Stein Kulturführers diese wichtige Reform für Frauen und Mädchen nicht wieder vergessen wird.
Redaktion
Prof. Dr. Edith Glaser/ Dr. Kerstin Wolff
Mit Beiträgen von
James C. Albisetti , Edith Glaser, Elke Kleinau , Thomas Adam, Wolfgang Gippert, Jana Mikota, Frauke Stübig, Ulrike Manz, Hans-Martin Moderow, Katerina Kobchenko, Katrin Manz, Dania Dittgen