ISSN
0178-1073
Kosten
9,50 €
Umfang
82 Seiten
Erschienen
November 2010
Heft 58
Die ruhigen Jahre?
Geschlechter(ver)ordnungen in der Frühphase der Bundesrepublik
Seit einigen Jahren verändert die historischen Forschung das Bild der 1950er und 1960er Jahre in der bundesdeutschen Geschichte. Die Ära Adenauer wurde in der Forschung lange mit der Vorstellung einer sich durch das ›Wirtschaftswunder‹ restaurierenden Gesellschaft in Verbindung gebracht, die an überholten Gesellschaftsstrukturen und anachronistischen Geschlechtervorstellungen festhielt. Inzwischen untersuchen kulturgeschichtlich orientierte Studien den allmählichen Übergang zum Massenkonsum und diversifizierten Lebensstilen auch unter der Frage, ob und wie sich neue Vorstellungen von Partnerschaft und Familiennormen entwickeln konnten.
Nach zwei Weltkriegen gehörten die Wiederherstellung rigider Geschlechterrollen und das Leitbild von Ehe und Kernfamilie als dominante Lebensform zu den wesentlichen Elementen einer ›Normalisierung‹ der Lebensverhältnisse. Im Mittelpunkt stand dabei das 1953 eingerichtete Familienministerium unter Franz-Josef Wuermeling, der die Familie als »Urzelle und Kraftquelle staatlicher Ordnung« definierte, in der den Frauen, wie Astrid Joosten 1990 schreibt, die Rolle des »segenspendenden Herzens« zugewiesen wurde.
Bedeutsam war die Familie als Basis für eine politische Identitätsfindung und Selbstdefinition Westdeutschlands und als Bollwerk gegen den Kommunismus. Sozialpolitische Konzeptionen wurden mit entsprechenden Vorstellungen von Familie verknüpft, die wiederum maßgeblich die bundesrepublikanische Geschlechterpolitik beeinflussten. So wurde die (westdeutsche) Ehefrau und Mutter propagandistisch aufgewertet und die (ostdeutschen) weiblichen Werktätigen ideologisch abgewertet. Zwar trat am 1. Juli 1958 in der Bundesrepublik das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, doch bestimmten weiterhin patriarchalische Familienstrukturen die Arbeitsteilung innerhalb der Familie: Ehemänner blieben Alleinernährer und Ehefrauen blieben in der Rolle der Gattin, Hausfrau und Mutter. Die Maßnahmen zur ›Erschließung‹ neuer Berufsfelder für Mädchen und Frauen blieben zunächst auf wenige Berufsbereiche beschränkt. Auch die neue Arbeitsform der Teilzeitarbeit trug zur Stabilisierung dieses Geschlechterrollenmodels als zu seiner Ablösung bei.
Neuere Studien stellen die Normativität dieser Geschlechterkonzepte in Frage. Die gesellschaftlichen Umbrüche der endenden 1960er und beginnenden 1970er Jahre deuten darauf hin, dass ein Wandlungs- und Emanzipationsprozess in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen längst begonnen hatte.
Die Autorinnen dieses Heftes schauen auf die sichtbaren Verschiebungen und Ambivalenzen in der politischen Praxis und in den medial aufbereiteten Diskursen bereits in den scheinbar statischen, ›beruhigenden‹ fünfziger Jahren und zeigen, dass das Bild der 1950er und beginnenden 1960er Jahre als geschlechterpolitisch ›befriedete‹ Zeit dringend revidiert werden muss.
Redaktion
Dr. Julia Paulus/ Dr. Kerstin Wolff
Mit Beiträgen von
Gunilla Budde, Irene Stoehr, Angela Pitzschke, Julia Paulus, Johanna Hartmann, Corinna Schmidt, Diana Schellhas, Eva-Maria Silies, Angela Voß.